c)Lesen der mustergültigen volksthüm¬ lichen Schriften.
Bücher giebt es über Alles, von der Göt¬ terhoheit bis zum Teufelsabschaum. Darum muß die Kunst zu lesen frühzeitig in der Schule geübt, und lange bis zur Befestigung des Gemüths fortgesetzt werden; sonst verirren die Mittelmenschen (und das sind die meisten) im Bücherdickicht. Überladung gewährt nimmer Genuß, jede Gesundheit kann man dadurch ein¬ büßen, leibliche, geistige, sittliche. Ohne Plan und Wahl durcheinander lesen ist eine Strau¬ ßenüberfüllung; und das Gelesene unverdaut gleich brühwarm wieder anbringen die alte Sa¬ ge vom Vielfraß, der vorne hineinschlingt, und hinten hinauszwängt. Aus langer Weile und zum sogenannten Zeitvertreib lesen, bleibt eine höchstarmselige geschäftige Nichtsthuerei von Mü¬ ßiggängern, die nie das wahre Leben erkannten. Aber auch die bessere Seele, die sich im Lesen erhohlen will, naht Gefahren; wenn sie so weg lieset, was der Zufall in die Hände spielt, Un¬ verstand auspreiset, Gernemitsprechen anlobt, und des Bücherleihers Garküche anrichtet. Romane
c)Leſen der muſtergültigen volksthüm¬ lichen Schriften.
Bücher giebt es über Alles, von der Göt¬ terhoheit bis zum Teufelsabſchaum. Darum muß die Kunſt zu leſen frühzeitig in der Schule geübt, und lange bis zur Befeſtigung des Gemüths fortgeſetzt werden; ſonſt verirren die Mittelmenſchen (und das ſind die meiſten) im Bücherdickicht. Überladung gewährt nimmer Genuß, jede Geſundheit kann man dadurch ein¬ büßen, leibliche, geiſtige, ſittliche. Ohne Plan und Wahl durcheinander leſen iſt eine Strau¬ ßenüberfüllung; und das Geleſene unverdaut gleich brühwarm wieder anbringen die alte Sa¬ ge vom Vielfraß, der vorne hineinſchlingt, und hinten hinauszwängt. Aus langer Weile und zum ſogenannten Zeitvertreib leſen, bleibt eine höchſtarmſelige geſchäftige Nichtsthuerei von Mü¬ ßiggängern, die nie das wahre Leben erkannten. Aber auch die beſſere Seele, die ſich im Leſen erhohlen will, naht Gefahren; wenn ſie ſo weg lieſet, was der Zufall in die Hände ſpielt, Un¬ verſtand auspreiſet, Gernemitſprechen anlobt, und des Bücherleihers Garküche anrichtet. Romane
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0231"n="201"/><fwtype="pageNum"place="top">201<lb/></fw><p><hirendition="#c"><hirendition="#aq">c)</hi><hirendition="#g">Leſen der muſtergültigen volksthüm¬<lb/>
lichen Schriften.</hi></hi></p><lb/><p>Bücher giebt es über Alles, von der Göt¬<lb/>
terhoheit bis zum Teufelsabſchaum. Darum<lb/>
muß <hirendition="#g">die Kunſt zu leſen</hi> frühzeitig in der<lb/>
Schule geübt, und lange bis zur Befeſtigung<lb/>
des Gemüths fortgeſetzt werden; ſonſt verirren<lb/>
die Mittelmenſchen (und das ſind die meiſten) im<lb/>
Bücherdickicht. Überladung gewährt nimmer<lb/>
Genuß, jede Geſundheit kann man dadurch ein¬<lb/>
büßen, leibliche, geiſtige, ſittliche. Ohne Plan<lb/>
und Wahl durcheinander leſen iſt eine Strau¬<lb/>
ßenüberfüllung; und das Geleſene unverdaut<lb/>
gleich brühwarm wieder anbringen die alte Sa¬<lb/>
ge vom Vielfraß, der vorne hineinſchlingt, und<lb/>
hinten hinauszwängt. Aus langer Weile und<lb/>
zum ſogenannten Zeitvertreib leſen, bleibt eine<lb/>
höchſtarmſelige geſchäftige Nichtsthuerei von Mü¬<lb/>
ßiggängern, die nie das wahre Leben erkannten.<lb/>
Aber auch die beſſere Seele, die ſich im Leſen<lb/>
erhohlen will, naht Gefahren; wenn ſie ſo weg<lb/>
lieſet, was der Zufall in die Hände ſpielt, Un¬<lb/>
verſtand auspreiſet, Gernemitſprechen anlobt, und<lb/>
des Bücherleihers Garküche anrichtet. Romane<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[201/0231]
201
c) Leſen der muſtergültigen volksthüm¬
lichen Schriften.
Bücher giebt es über Alles, von der Göt¬
terhoheit bis zum Teufelsabſchaum. Darum
muß die Kunſt zu leſen frühzeitig in der
Schule geübt, und lange bis zur Befeſtigung
des Gemüths fortgeſetzt werden; ſonſt verirren
die Mittelmenſchen (und das ſind die meiſten) im
Bücherdickicht. Überladung gewährt nimmer
Genuß, jede Geſundheit kann man dadurch ein¬
büßen, leibliche, geiſtige, ſittliche. Ohne Plan
und Wahl durcheinander leſen iſt eine Strau¬
ßenüberfüllung; und das Geleſene unverdaut
gleich brühwarm wieder anbringen die alte Sa¬
ge vom Vielfraß, der vorne hineinſchlingt, und
hinten hinauszwängt. Aus langer Weile und
zum ſogenannten Zeitvertreib leſen, bleibt eine
höchſtarmſelige geſchäftige Nichtsthuerei von Mü¬
ßiggängern, die nie das wahre Leben erkannten.
Aber auch die beſſere Seele, die ſich im Leſen
erhohlen will, naht Gefahren; wenn ſie ſo weg
lieſet, was der Zufall in die Hände ſpielt, Un¬
verſtand auspreiſet, Gernemitſprechen anlobt, und
des Bücherleihers Garküche anrichtet. Romane
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/231>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.