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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

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burt er einverleibt wird, sein Vormund. Ob sie
vergißt seinen Namen in Listen einzutragen
kann ihm gleichgültig sein, wenn sie ihm nur
den Weg seiner Bestimmung eröffnet. Aber wo
sind die Wächter der Kindheit, die Leithände
beginnender Kraft, die Wegweiser der Jugend?
Wo sind die Ärzte, die vor Ansteckung bewah¬
ren, und ihre Anbefohlenen mit einem sichern
Vorbeugungsmittel in die Welt entlassen? Vä¬
ter und Mütter, nur zu sehr entheiligte Namen,
ihr sollt es sein! ohne euch ist alle andere Mühe
und Arbeit an euren Kindern verloren! Wir
haben die Natur verlassen, nun verläßt sie uns
wieder. "Menschlichmachung durch Erregung
eigener Selbstthätigkeit" ist Menschenerziehen,
und diesem widerstreiten die meisten Erziehungs¬
arten im Kleinen und Großen. Fast Alles be¬
steht in Versuchen hin und her, ohne Untersu¬
chung: "Was ist Menschenbestimmung, und
wie können sie ihm Andere erleichtern?" Dem
Nothknecht Zufall darf nicht anvertraut bleiben,
der Mühe des Nachdenkens zu überheben.
Bloße Versuche auf Gerathewohl sind in der
Erziehung gefährlicher, als in der Heilkunst.

burt er einverleibt wird, ſein Vormund. Ob ſie
vergißt ſeinen Namen in Liſten einzutragen
kann ihm gleichgültig ſein, wenn ſie ihm nur
den Weg ſeiner Beſtimmung eröffnet. Aber wo
ſind die Wächter der Kindheit, die Leithände
beginnender Kraft, die Wegweiſer der Jugend?
Wo ſind die Ärzte, die vor Anſteckung bewah¬
ren, und ihre Anbefohlenen mit einem ſichern
Vorbeugungsmittel in die Welt entlaſſen? Vä¬
ter und Mütter, nur zu ſehr entheiligte Namen,
ihr ſollt es ſein! ohne euch iſt alle andere Mühe
und Arbeit an euren Kindern verloren! Wir
haben die Natur verlaſſen, nun verläßt ſie uns
wieder. „Menſchlichmachung durch Erregung
eigener Selbſtthätigkeit″ iſt Menſchenerziehen,
und dieſem widerſtreiten die meiſten Erziehungs¬
arten im Kleinen und Großen. Faſt Alles be¬
ſteht in Verſuchen hin und her, ohne Unterſu¬
chung: „Was iſt Menſchenbeſtimmung, und
wie können ſie ihm Andere erleichtern?″ Dem
Nothknecht Zufall darf nicht anvertraut bleiben,
der Mühe des Nachdenkens zu überheben.
Bloße Verſuche auf Gerathewohl ſind in der
Erziehung gefährlicher, als in der Heilkunſt.

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[170/0200] 170 burt er einverleibt wird, ſein Vormund. Ob ſie vergißt ſeinen Namen in Liſten einzutragen kann ihm gleichgültig ſein, wenn ſie ihm nur den Weg ſeiner Beſtimmung eröffnet. Aber wo ſind die Wächter der Kindheit, die Leithände beginnender Kraft, die Wegweiſer der Jugend? Wo ſind die Ärzte, die vor Anſteckung bewah¬ ren, und ihre Anbefohlenen mit einem ſichern Vorbeugungsmittel in die Welt entlaſſen? Vä¬ ter und Mütter, nur zu ſehr entheiligte Namen, ihr ſollt es ſein! ohne euch iſt alle andere Mühe und Arbeit an euren Kindern verloren! Wir haben die Natur verlaſſen, nun verläßt ſie uns wieder. „Menſchlichmachung durch Erregung eigener Selbſtthätigkeit″ iſt Menſchenerziehen, und dieſem widerſtreiten die meiſten Erziehungs¬ arten im Kleinen und Großen. Faſt Alles be¬ ſteht in Verſuchen hin und her, ohne Unterſu¬ chung: „Was iſt Menſchenbeſtimmung, und wie können ſie ihm Andere erleichtern?″ Dem Nothknecht Zufall darf nicht anvertraut bleiben, der Mühe des Nachdenkens zu überheben. Bloße Verſuche auf Gerathewohl ſind in der Erziehung gefährlicher, als in der Heilkunſt.

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/200>, abgerufen am 24.11.2024.