Alle Leiden, die seit dem Gedenken der Ge¬ schichte Deutschland betroffen haben, sind aus der Landsmannschaftsucht und Völklei¬ nerei entsprungen. Dadurch wurden immer die Deutschen entzweiet, einsiedlerisch von einander geschieden, mit Dünkel erfüllt, und die gemeine Sache ward fast nie allgemein begonnen und vollführt. Was im Großen geschah, leisteten begeisterte Heilande, die das gesammte Volk aus dem alten Sündenwuste mit Schnellkraft fort¬ rissen. Und so ging das Allgemeine von Ein¬ zelnen aus, wenn Deutsche Jnvölker aufstanden, sich über Landsmannschaftsucht und Völk¬ leinerei erhuben, und als Vorkämpfer in die Schranken traten. Als Hermann sich wider die Völkertilger in den Krieg und die Schlacht wagte, folgte nur ein Theil des Nordwesten sei¬ nem Paniere; Marbod saß mit der Macht des Osten als Fischer im Trüben still; und die Ba¬ tavische Reuterei röthete die Weser mit Bruder¬ blut. "Hatten also die Teutschen (wie ihr Brauch noch ist) unter einander Krieg, dessen
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II. Landsmannſchaftſucht und Voͤlkleinerei.
Alle Leiden, die ſeit dem Gedenken der Ge¬ ſchichte Deutſchland betroffen haben, ſind aus der Landsmannſchaftſucht und Völklei¬ nerei entſprungen. Dadurch wurden immer die Deutſchen entzweiet, einſiedleriſch von einander geſchieden, mit Dünkel erfüllt, und die gemeine Sache ward faſt nie allgemein begonnen und vollführt. Was im Großen geſchah, leiſteten begeiſterte Heilande, die das geſammte Volk aus dem alten Sündenwuſte mit Schnellkraft fort¬ riſſen. Und ſo ging das Allgemeine von Ein¬ zelnen aus, wenn Deutſche Jnvölker aufſtanden, ſich über Landsmannſchaftſucht und Völk¬ leinerei erhuben, und als Vorkämpfer in die Schranken traten. Als Hermann ſich wider die Völkertilger in den Krieg und die Schlacht wagte, folgte nur ein Theil des Nordweſten ſei¬ nem Paniere; Marbod ſaß mit der Macht des Oſten als Fiſcher im Trüben ſtill; und die Ba¬ taviſche Reuterei röthete die Weſer mit Bruder¬ blut. „Hatten alſo die Teutſchen (wie ihr Brauch noch iſt) unter einander Krieg, deſſen
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II. Landsmannſchaftſucht und Voͤlkleinerei.
Alle Leiden, die ſeit dem Gedenken der Ge¬
ſchichte Deutſchland betroffen haben, ſind aus
der Landsmannſchaftſucht und Völklei¬
nerei entſprungen. Dadurch wurden immer die
Deutſchen entzweiet, einſiedleriſch von einander
geſchieden, mit Dünkel erfüllt, und die gemeine
Sache ward faſt nie allgemein begonnen und
vollführt. Was im Großen geſchah, leiſteten
begeiſterte Heilande, die das geſammte Volk aus
dem alten Sündenwuſte mit Schnellkraft fort¬
riſſen. Und ſo ging das Allgemeine von Ein¬
zelnen aus, wenn Deutſche Jnvölker aufſtanden,
ſich über Landsmannſchaftſucht und Völk¬
leinerei erhuben, und als Vorkämpfer in die
Schranken traten. Als Hermann ſich wider die
Völkertilger in den Krieg und die Schlacht
wagte, folgte nur ein Theil des Nordweſten ſei¬
nem Paniere; Marbod ſaß mit der Macht des
Oſten als Fiſcher im Trüben ſtill; und die Ba¬
taviſche Reuterei röthete die Weſer mit Bruder¬
blut. „Hatten alſo die Teutſchen (wie ihr
Brauch noch iſt) unter einander Krieg, deſſen
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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/145>, abgerufen am 23.11.2024.
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