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Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849.

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wenn man zugiebt, dass sie so in Rom nie gesprochen worden ist - er liess sich einzelne Nachlässigkeiten im Ausdruck entschlüpfen, die zu verbessern es keines Hermann bedarf, - so ist nicht minder gewiss, dass sie ebenso echt antik als der eigenthümliche Ausdruck seines Charakters, wahrhaft sein Stil ist. Wer auch nur einen Satz von ihm liest, dem wird Hermann in seiner ganzen Eigenthümlichkeit, ja der Ton seiner Stimme, seine Bewegung, der ganze Mann vor der Seele stehn. Was man von der römischen Sprache rühmt, männliche Kraft, Ernst und Würde, Klarheit und Deutlichkeit, Witz und Laune sind ebensoviel Eigenschaften Hermann's und in seiner Schreibart aufs Bestimmteste ausgeprägt. Vornehmlich zeichnet diese aber ein ebenso sicheres Gefühl für Tonfall und Wortstellung, als für die feinsten Schattierungen des Ausdrucks, je nach Verhältniss der Darstellung, aus, worin der sicherste Massstab für die echte Empfindung des wahrhaft Lebendigen in der Sprache beruht. Das zeigt sich namentlich in seinen Gedichten, die man in Wahrheit so nennen darf und in denen Versmass und Ausdrucksweise aufs Bewunderungswürdigste mit einander, dem Gegenstande angemessen, harmonieren. Die wenigen griechischen Gedichte, welche er nur zum Spiel gemacht hat, wie die köstlichen Uebersetzungen aus Schiller's Wallenstein, beweisen hinlänglich, in welchem Grade er auch diese Sprache beherrschte. Er hatte die Muttersprache darüber nicht vernachlässigt; zwar sprach er, wenn es Repräsentation galt, lieber lateinisch, sein deutscher Stil aber ist zwar ungemein einfach und durchaus schmucklos, aber klar, präcis, kräftig und körnig. Er war keineswegs den alten Sprachen so einseitig zugethan, dass er gegen die neuern Dichter gleichgültig gewesen wäre. Vor allen verehrte er, wie sich erwarten lässt, Lessing, dann Goethe, der ihm als der einzige Grieche unter den Deutschen zu leben schien, und Schiller, der ihm in gewissen Beziehungen noch höher stand; Klopstock und Utz waren ihm noch aus jugendlichen Erinnerungen geläufig. Auch der altdeutschen Poesie hatte er, zunächst durch persönliche Verhältnisse angeregt, Aufmerksamkeit zugewandt. Der französischen, englischen und italiänischen Sprache war er mächtig, von ihrer Litteratur beschäftigten nur Shakespeare und Dante ihn dauernd. Bei dieser bestimmten Richtung auf die Poesie kann eine Neigung, die ihn ausser seinen eigentlichen Studien lebhaft beschäftigte, fast Wunder nehmen, die zu mathematischen Aufgaben und vorzugsweise zu schwierigen und verwickelten Rechnungen. Nicht nur dahin gehörige

wenn man zugiebt, dass sie so in Rom nie gesprochen worden ist – er liess sich einzelne Nachlässigkeiten im Ausdruck entschlüpfen, die zu verbessern es keines Hermann bedarf, – so ist nicht minder gewiss, dass sie ebenso echt antik als der eigenthümliche Ausdruck seines Charakters, wahrhaft sein Stil ist. Wer auch nur einen Satz von ihm liest, dem wird Hermann in seiner ganzen Eigenthümlichkeit, ja der Ton seiner Stimme, seine Bewegung, der ganze Mann vor der Seele stehn. Was man von der römischen Sprache rühmt, männliche Kraft, Ernst und Würde, Klarheit und Deutlichkeit, Witz und Laune sind ebensoviel Eigenschaften Hermann’s und in seiner Schreibart aufs Bestimmteste ausgeprägt. Vornehmlich zeichnet diese aber ein ebenso sicheres Gefühl für Tonfall und Wortstellung, als für die feinsten Schattierungen des Ausdrucks, je nach Verhältniss der Darstellung, aus, worin der sicherste Massstab für die echte Empfindung des wahrhaft Lebendigen in der Sprache beruht. Das zeigt sich namentlich in seinen Gedichten, die man in Wahrheit so nennen darf und in denen Versmass und Ausdrucksweise aufs Bewunderungswürdigste mit einander, dem Gegenstande angemessen, harmonieren. Die wenigen griechischen Gedichte, welche er nur zum Spiel gemacht hat, wie die köstlichen Uebersetzungen aus Schiller’s Wallenstein, beweisen hinlänglich, in welchem Grade er auch diese Sprache beherrschte. Er hatte die Muttersprache darüber nicht vernachlässigt; zwar sprach er, wenn es Repräsentation galt, lieber lateinisch, sein deutscher Stil aber ist zwar ungemein einfach und durchaus schmucklos, aber klar, präcis, kräftig und körnig. Er war keineswegs den alten Sprachen so einseitig zugethan, dass er gegen die neuern Dichter gleichgültig gewesen wäre. Vor allen verehrte er, wie sich erwarten lässt, Lessing, dann Goethe, der ihm als der einzige Grieche unter den Deutschen zu leben schien, und Schiller, der ihm in gewissen Beziehungen noch höher stand; Klopstock und Utz waren ihm noch aus jugendlichen Erinnerungen geläufig. Auch der altdeutschen Poesie hatte er, zunächst durch persönliche Verhältnisse angeregt, Aufmerksamkeit zugewandt. Der französischen, englischen und italiänischen Sprache war er mächtig, von ihrer Litteratur beschäftigten nur Shakespeare und Dante ihn dauernd. Bei dieser bestimmten Richtung auf die Poesie kann eine Neigung, die ihn ausser seinen eigentlichen Studien lebhaft beschäftigte, fast Wunder nehmen, die zu mathematischen Aufgaben und vorzugsweise zu schwierigen und verwickelten Rechnungen. Nicht nur dahin gehörige

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[19/0019] wenn man zugiebt, dass sie so in Rom nie gesprochen worden ist – er liess sich einzelne Nachlässigkeiten im Ausdruck entschlüpfen, die zu verbessern es keines Hermann bedarf, – so ist nicht minder gewiss, dass sie ebenso echt antik als der eigenthümliche Ausdruck seines Charakters, wahrhaft sein Stil ist. Wer auch nur einen Satz von ihm liest, dem wird Hermann in seiner ganzen Eigenthümlichkeit, ja der Ton seiner Stimme, seine Bewegung, der ganze Mann vor der Seele stehn. Was man von der römischen Sprache rühmt, männliche Kraft, Ernst und Würde, Klarheit und Deutlichkeit, Witz und Laune sind ebensoviel Eigenschaften Hermann’s und in seiner Schreibart aufs Bestimmteste ausgeprägt. Vornehmlich zeichnet diese aber ein ebenso sicheres Gefühl für Tonfall und Wortstellung, als für die feinsten Schattierungen des Ausdrucks, je nach Verhältniss der Darstellung, aus, worin der sicherste Massstab für die echte Empfindung des wahrhaft Lebendigen in der Sprache beruht. Das zeigt sich namentlich in seinen Gedichten, die man in Wahrheit so nennen darf und in denen Versmass und Ausdrucksweise aufs Bewunderungswürdigste mit einander, dem Gegenstande angemessen, harmonieren. Die wenigen griechischen Gedichte, welche er nur zum Spiel gemacht hat, wie die köstlichen Uebersetzungen aus Schiller’s Wallenstein, beweisen hinlänglich, in welchem Grade er auch diese Sprache beherrschte. Er hatte die Muttersprache darüber nicht vernachlässigt; zwar sprach er, wenn es Repräsentation galt, lieber lateinisch, sein deutscher Stil aber ist zwar ungemein einfach und durchaus schmucklos, aber klar, präcis, kräftig und körnig. Er war keineswegs den alten Sprachen so einseitig zugethan, dass er gegen die neuern Dichter gleichgültig gewesen wäre. Vor allen verehrte er, wie sich erwarten lässt, Lessing, dann Goethe, der ihm als der einzige Grieche unter den Deutschen zu leben schien, und Schiller, der ihm in gewissen Beziehungen noch höher stand; Klopstock und Utz waren ihm noch aus jugendlichen Erinnerungen geläufig. Auch der altdeutschen Poesie hatte er, zunächst durch persönliche Verhältnisse angeregt, Aufmerksamkeit zugewandt. Der französischen, englischen und italiänischen Sprache war er mächtig, von ihrer Litteratur beschäftigten nur Shakespeare und Dante ihn dauernd. Bei dieser bestimmten Richtung auf die Poesie kann eine Neigung, die ihn ausser seinen eigentlichen Studien lebhaft beschäftigte, fast Wunder nehmen, die zu mathematischen Aufgaben und vorzugsweise zu schwierigen und verwickelten Rechnungen. Nicht nur dahin gehörige

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Zitationshilfe: Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_rede_1849/19>, abgerufen am 21.11.2024.