Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849.Zügen war es, die ihn anzog und befriedigte. So wie es dagegen eine sprachliche Erscheinung galt, bewährte sich in ihm ein feiner historischer Sinn. Bezeichnend ist dafür die Art, wie er an der wolfschen Frage über die homerischen Gedichte, die ihn lebhaft in Anspruch nahm, sich betheiligte. Auf die historischen, vorbereitenden Untersuchungen, durch welche Wolf die Frage in Angriff genommen hatte, liess er sich kaum ein, dagegen fasste er sogleich die Hauptfrage nach den innern Gründen ins Auge, welche die Annahme verschiedener Dichter unterstützten, und machte wiederholt auf Widersprüche, auf Verschiedenheiten in der dichterischen Behandlung, im Sprachlichen und Metrischen aufmerksam, er als der einzige, der in diesem Sinne auf die Frage einging, in welchem sie jetzt Lachmann ihrer Lösung entgegengeführt hat, und es ist bekannt, dass er ähnliche Untersuchungen auch über die homerischen Hymnen und den Hesiodus anstellte. Das schönste Denkmal der Art aber ist die Abhandlung über den Orpheus, ein Muster scharfer Beobachtung und feinen Taktes, in welcher auf dem Wege metrischer und sprachlicher Forschung Resultate von unzweifelhafter Sicherheit für die Litteraturgeschichte gewonnen sind. Nicht minder charakteristisch ist die Stellung, welche er zur Mythologie einnahm. Seine Ansichten über das Wesen und die Bedeutung des Mythos enthalten viel Wahres und Treffendes, aber es sind bestimmt rationale Vorstellungen über die allgemeinsten Fragen der Mythologie, wobei der Phantasie fast gar kein Recht eingeräumt wird, und ohne auf die concrete historische Entwickelung näher einzugehen. Bei der Behandlung des Einzelnen tritt sofort die Sprache in den Vordergrund und das Hauptmittel für die Mythendeutung ist ihm die Etymologie; diese aber übt er mit einer Meisterschaft, dass man, abgesehen von dem wissenschaftlichen Resultat, namentlich an der genialen Kühnheit der lateinischen Uebersetzungen, den reinsten Genuss empfindet. Allerdings ist aber auch die Wichtigkeit der Etymologie für die Mythologie ebenso anerkannt, als es ausser Frage steht, dass gerade hier der Forschung die verschiedensten Wege geöffnet sind. Die Würdigung des Künstlerischen in der Sprache musste ihn nothwendig auf dasjenige Element führen, das künstlerischer Gestaltung vorzugsweise fähig ist, das rhythmische, und mit Recht ist er als Begründer der Metrik allgemein gekannt. Denn "allein Bentley", sagt er selbst, "der erste unter den Kritikern, verstand den Rhythmus der Alten so gut, wie ihre Sprache: aber, wie ein Zügen war es, die ihn anzog und befriedigte. So wie es dagegen eine sprachliche Erscheinung galt, bewährte sich in ihm ein feiner historischer Sinn. Bezeichnend ist dafür die Art, wie er an der wolfschen Frage über die homerischen Gedichte, die ihn lebhaft in Anspruch nahm, sich betheiligte. Auf die historischen, vorbereitenden Untersuchungen, durch welche Wolf die Frage in Angriff genommen hatte, liess er sich kaum ein, dagegen fasste er sogleich die Hauptfrage nach den innern Gründen ins Auge, welche die Annahme verschiedener Dichter unterstützten, und machte wiederholt auf Widersprüche, auf Verschiedenheiten in der dichterischen Behandlung, im Sprachlichen und Metrischen aufmerksam, er als der einzige, der in diesem Sinne auf die Frage einging, in welchem sie jetzt Lachmann ihrer Lösung entgegengeführt hat, und es ist bekannt, dass er ähnliche Untersuchungen auch über die homerischen Hymnen und den Hesiodus anstellte. Das schönste Denkmal der Art aber ist die Abhandlung über den Orpheus, ein Muster scharfer Beobachtung und feinen Taktes, in welcher auf dem Wege metrischer und sprachlicher Forschung Resultate von unzweifelhafter Sicherheit für die Litteraturgeschichte gewonnen sind. Nicht minder charakteristisch ist die Stellung, welche er zur Mythologie einnahm. Seine Ansichten über das Wesen und die Bedeutung des Mythos enthalten viel Wahres und Treffendes, aber es sind bestimmt rationale Vorstellungen über die allgemeinsten Fragen der Mythologie, wobei der Phantasie fast gar kein Recht eingeräumt wird, und ohne auf die concrete historische Entwickelung näher einzugehen. Bei der Behandlung des Einzelnen tritt sofort die Sprache in den Vordergrund und das Hauptmittel für die Mythendeutung ist ihm die Etymologie; diese aber übt er mit einer Meisterschaft, dass man, abgesehen von dem wissenschaftlichen Resultat, namentlich an der genialen Kühnheit der lateinischen Uebersetzungen, den reinsten Genuss empfindet. Allerdings ist aber auch die Wichtigkeit der Etymologie für die Mythologie ebenso anerkannt, als es ausser Frage steht, dass gerade hier der Forschung die verschiedensten Wege geöffnet sind. Die Würdigung des Künstlerischen in der Sprache musste ihn nothwendig auf dasjenige Element führen, das künstlerischer Gestaltung vorzugsweise fähig ist, das rhythmische, und mit Recht ist er als Begründer der Metrik allgemein gekannt. Denn «allein Bentley», sagt er selbst, «der erste unter den Kritikern, verstand den Rhythmus der Alten so gut, wie ihre Sprache: aber, wie ein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0016" n="16"/> Zügen war es, die ihn anzog und befriedigte. So wie es dagegen eine sprachliche Erscheinung galt, bewährte sich in ihm ein feiner historischer Sinn. Bezeichnend ist dafür die Art, wie er an der wolfschen Frage über die homerischen Gedichte, die ihn lebhaft in Anspruch nahm, sich betheiligte. Auf die historischen, vorbereitenden Untersuchungen, durch welche Wolf die Frage in Angriff genommen hatte, liess er sich kaum ein, dagegen fasste er sogleich die Hauptfrage nach den innern Gründen ins Auge, welche die Annahme verschiedener Dichter unterstützten, und machte wiederholt auf Widersprüche, auf Verschiedenheiten in der dichterischen Behandlung, im Sprachlichen und Metrischen aufmerksam, er als der einzige, der in diesem Sinne auf die Frage einging, in welchem sie jetzt Lachmann ihrer Lösung entgegengeführt hat, und es ist bekannt, dass er ähnliche Untersuchungen auch über die homerischen Hymnen und den Hesiodus anstellte. Das schönste Denkmal der Art aber ist die Abhandlung über den Orpheus, ein Muster scharfer Beobachtung und feinen Taktes, in welcher auf dem Wege metrischer und sprachlicher Forschung Resultate von unzweifelhafter Sicherheit für die Litteraturgeschichte gewonnen sind. Nicht minder charakteristisch ist die Stellung, welche er zur Mythologie einnahm. Seine Ansichten über das Wesen und die Bedeutung des Mythos enthalten viel Wahres und Treffendes, aber es sind bestimmt rationale Vorstellungen über die allgemeinsten Fragen der Mythologie, wobei der Phantasie fast gar kein Recht eingeräumt wird, und ohne auf die concrete historische Entwickelung näher einzugehen. Bei der Behandlung des Einzelnen tritt sofort die Sprache in den Vordergrund und das Hauptmittel für die Mythendeutung ist ihm die Etymologie; diese aber übt er mit einer Meisterschaft, dass man, abgesehen von dem wissenschaftlichen Resultat, namentlich an der genialen Kühnheit der lateinischen Uebersetzungen, den reinsten Genuss empfindet. 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Zügen war es, die ihn anzog und befriedigte. So wie es dagegen eine sprachliche Erscheinung galt, bewährte sich in ihm ein feiner historischer Sinn. Bezeichnend ist dafür die Art, wie er an der wolfschen Frage über die homerischen Gedichte, die ihn lebhaft in Anspruch nahm, sich betheiligte. Auf die historischen, vorbereitenden Untersuchungen, durch welche Wolf die Frage in Angriff genommen hatte, liess er sich kaum ein, dagegen fasste er sogleich die Hauptfrage nach den innern Gründen ins Auge, welche die Annahme verschiedener Dichter unterstützten, und machte wiederholt auf Widersprüche, auf Verschiedenheiten in der dichterischen Behandlung, im Sprachlichen und Metrischen aufmerksam, er als der einzige, der in diesem Sinne auf die Frage einging, in welchem sie jetzt Lachmann ihrer Lösung entgegengeführt hat, und es ist bekannt, dass er ähnliche Untersuchungen auch über die homerischen Hymnen und den Hesiodus anstellte. Das schönste Denkmal der Art aber ist die Abhandlung über den Orpheus, ein Muster scharfer Beobachtung und feinen Taktes, in welcher auf dem Wege metrischer und sprachlicher Forschung Resultate von unzweifelhafter Sicherheit für die Litteraturgeschichte gewonnen sind. Nicht minder charakteristisch ist die Stellung, welche er zur Mythologie einnahm. Seine Ansichten über das Wesen und die Bedeutung des Mythos enthalten viel Wahres und Treffendes, aber es sind bestimmt rationale Vorstellungen über die allgemeinsten Fragen der Mythologie, wobei der Phantasie fast gar kein Recht eingeräumt wird, und ohne auf die concrete historische Entwickelung näher einzugehen. Bei der Behandlung des Einzelnen tritt sofort die Sprache in den Vordergrund und das Hauptmittel für die Mythendeutung ist ihm die Etymologie; diese aber übt er mit einer Meisterschaft, dass man, abgesehen von dem wissenschaftlichen Resultat, namentlich an der genialen Kühnheit der lateinischen Uebersetzungen, den reinsten Genuss empfindet. Allerdings ist aber auch die Wichtigkeit der Etymologie für die Mythologie ebenso anerkannt, als es ausser Frage steht, dass gerade hier der Forschung die verschiedensten Wege geöffnet sind.
Die Würdigung des Künstlerischen in der Sprache musste ihn nothwendig auf dasjenige Element führen, das künstlerischer Gestaltung vorzugsweise fähig ist, das rhythmische, und mit Recht ist er als Begründer der Metrik allgemein gekannt. Denn «allein Bentley», sagt er selbst, «der erste unter den Kritikern, verstand den Rhythmus der Alten so gut, wie ihre Sprache: aber, wie ein
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