Herr muß derowegen mit uns schwachen Menschen wie mit Kindern umgehen. Er saget ihnen in einer solchen Sache zwar die Wahrheit, aber so, daß sie selbige nicht nach allen Umständen fassen. Eben so hat er es in einer andern Sache mit sei- nen Jüngern gemacht, da ihn ein ähnli- cher Umstand dazu nöthigte. Er ver- spricht seinen Jüngern, daß sie sollten sitzen auf zwölf Stühlen und richten die zwölf Geschlechte Jsrael, wenn er sich erst würde auf den Stuhl seiner Herrlichkeit gesetzet haben *). Es war dieses eine wahre Rede des Erlösers. Die Jünger aber verstunden sie unrichtig, und er wußte gar wol, daß sie selbige unrecht aufnahmen, und sie von einer weltlichen Herrschaft erkläreten. Er hätte ihnen diese Meinung auf einmal benehmen kön- nen. Dieses aber war seiner Weisheit bey der Schwäche der Jünger nicht ge- mäß, sondern er führete sie erst nach und nach davon ab. Er fand es nicht einmal für dienlich, ihnen bey seiner Himmelfahrt hierüber einen ganz deutlichen Bericht zu geben **), sondern der heilige Geist mußte ihren Verstand erst mehr und mehr auf- klären, und sie allgemählich in diejenigen
Wahr-
*) Matth. C. 19. v. 28.
**) Apostelg. C. 1. v. 6. 7. 8.
Jac. Betr. 4. Band. F f
Herr muß derowegen mit uns ſchwachen Menſchen wie mit Kindern umgehen. Er ſaget ihnen in einer ſolchen Sache zwar die Wahrheit, aber ſo, daß ſie ſelbige nicht nach allen Umſtaͤnden faſſen. Eben ſo hat er es in einer andern Sache mit ſei- nen Juͤngern gemacht, da ihn ein aͤhnli- cher Umſtand dazu noͤthigte. Er ver- ſpricht ſeinen Juͤngern, daß ſie ſollten ſitzen auf zwoͤlf Stuͤhlen und richten die zwoͤlf Geſchlechte Jſrael, wenn er ſich erſt wuͤrde auf den Stuhl ſeiner Herrlichkeit geſetzet haben *). Es war dieſes eine wahre Rede des Erloͤſers. Die Juͤnger aber verſtunden ſie unrichtig, und er wußte gar wol, daß ſie ſelbige unrecht aufnahmen, und ſie von einer weltlichen Herrſchaft erklaͤreten. Er haͤtte ihnen dieſe Meinung auf einmal benehmen koͤn- nen. Dieſes aber war ſeiner Weisheit bey der Schwaͤche der Juͤnger nicht ge- maͤß, ſondern er fuͤhrete ſie erſt nach und nach davon ab. Er fand es nicht einmal fuͤr dienlich, ihnen bey ſeiner Himmelfahrt hieruͤber einen ganz deutlichen Bericht zu geben **), ſondern der heilige Geiſt mußte ihren Verſtand erſt mehr und mehr auf- klaͤren, und ſie allgemaͤhlich in diejenigen
Wahr-
*) Matth. C. 19. v. 28.
**) Apoſtelg. C. 1. v. 6. 7. 8.
Jac. Betr. 4. Band. F f
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Herr muß derowegen mit uns ſchwachen
Menſchen wie mit Kindern umgehen.
Er ſaget ihnen in einer ſolchen Sache zwar
die Wahrheit, aber ſo, daß ſie ſelbige
nicht nach allen Umſtaͤnden faſſen. Eben
ſo hat er es in einer andern Sache mit ſei-
nen Juͤngern gemacht, da ihn ein aͤhnli-
cher Umſtand dazu noͤthigte. Er ver-
ſpricht ſeinen Juͤngern, daß ſie ſollten
ſitzen auf zwoͤlf Stuͤhlen und richten die
zwoͤlf Geſchlechte Jſrael, wenn er ſich erſt
wuͤrde auf den Stuhl ſeiner Herrlichkeit
geſetzet haben *). Es war dieſes eine
wahre Rede des Erloͤſers. Die Juͤnger
aber verſtunden ſie unrichtig, und er
wußte gar wol, daß ſie ſelbige unrecht
aufnahmen, und ſie von einer weltlichen
Herrſchaft erklaͤreten. Er haͤtte ihnen
dieſe Meinung auf einmal benehmen koͤn-
nen. Dieſes aber war ſeiner Weisheit
bey der Schwaͤche der Juͤnger nicht ge-
maͤß, ſondern er fuͤhrete ſie erſt nach und
nach davon ab. Er fand es nicht einmal
fuͤr dienlich, ihnen bey ſeiner Himmelfahrt
hieruͤber einen ganz deutlichen Bericht zu
geben **), ſondern der heilige Geiſt mußte
ihren Verſtand erſt mehr und mehr auf-
klaͤren, und ſie allgemaͤhlich in diejenigen
Wahr-
*) Matth. C. 19. v. 28.
**) Apoſtelg. C. 1. v. 6. 7. 8.
Jac. Betr. 4. Band. F f
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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/469>, abgerufen am 28.11.2024.
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