Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

von einem ganz wüsten Leben sich zu Gott
zu wenden, und einen Christlichen Sinn
anzunehmen. Soll Gott viele auf eine
solche Art bekehren? Endlich bedenke ich zu
meiner Beruhigung, daß Gott jene Völ-
ker, jene Städte, jene Personen nicht nach
seinem geoffenbarten Worte, sondern nach
dem Gesetze, so in ihr Herz geschrieben ist,
und ihnen die Vernunft lehret, richten *),
und niemand Unrecht thun werde **). Ja
wird ein Heide Gott so, wie jener heidni-
sche Hauptmann Cornelius ***) suchen,
so wird er denselben auch nicht ohne Gnade
und Erbarmung lassen.

§. 44.
Erbauliche
Anwen-
dung dieser
Betrach-
tung.

Geliebtester Leser, wäre es vernünftig,
wäre es billig, wären wir edel in den Au-
gen des Allwissenden und Heiligsten, der
das Jnnerste unsers Herzens siehet, wenn
wir diese Betrachtung von uns legten, ohne
das grosse Glück, ohne die Barmherzigkeit
zu erwägen, deren wir als Christen theil-
haftig worden sind? So viele Jahre, so
viele grosse Anstalten, eine so langmüthige
Gedult ist nöthig gewesen, ehe nur ein
Theil der Völker aus ihrer Kindheit, aus

dem
*) Röm. Cap. 2. v. 12.
**) Matth. C. 11. v. 22. 24. Luc. C. 12.
v. 48.
***) Apost. Gesch. C. 10. v. 1. u. f.

von einem ganz wuͤſten Leben ſich zu Gott
zu wenden, und einen Chriſtlichen Sinn
anzunehmen. Soll Gott viele auf eine
ſolche Art bekehren? Endlich bedenke ich zu
meiner Beruhigung, daß Gott jene Voͤl-
ker, jene Staͤdte, jene Perſonen nicht nach
ſeinem geoffenbarten Worte, ſondern nach
dem Geſetze, ſo in ihr Herz geſchrieben iſt,
und ihnen die Vernunft lehret, richten *),
und niemand Unrecht thun werde **). Ja
wird ein Heide Gott ſo, wie jener heidni-
ſche Hauptmann Cornelius ***) ſuchen,
ſo wird er denſelben auch nicht ohne Gnade
und Erbarmung laſſen.

§. 44.
Erbauliche
Anwen-
dung dieſer
Betrach-
tung.

Geliebteſter Leſer, waͤre es vernuͤnftig,
waͤre es billig, waͤren wir edel in den Au-
gen des Allwiſſenden und Heiligſten, der
das Jnnerſte unſers Herzens ſiehet, wenn
wir dieſe Betrachtung von uns legten, ohne
das groſſe Gluͤck, ohne die Barmherzigkeit
zu erwaͤgen, deren wir als Chriſten theil-
haftig worden ſind? So viele Jahre, ſo
viele groſſe Anſtalten, eine ſo langmuͤthige
Gedult iſt noͤthig geweſen, ehe nur ein
Theil der Voͤlker aus ihrer Kindheit, aus

dem
*) Roͤm. Cap. 2. v. 12.
**) Matth. C. 11. v. 22. 24. Luc. C. 12.
v. 48.
***) Apoſt. Geſch. C. 10. v. 1. u. f.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0136" n="116"/>
von einem ganz wu&#x0364;&#x017F;ten Leben &#x017F;ich zu Gott<lb/>
zu wenden, und einen Chri&#x017F;tlichen Sinn<lb/>
anzunehmen. Soll Gott viele auf eine<lb/>
&#x017F;olche Art bekehren? Endlich bedenke ich zu<lb/>
meiner Beruhigung, daß Gott jene Vo&#x0364;l-<lb/>
ker, jene Sta&#x0364;dte, jene Per&#x017F;onen nicht nach<lb/>
&#x017F;einem geoffenbarten Worte, &#x017F;ondern nach<lb/>
dem Ge&#x017F;etze, &#x017F;o in ihr Herz ge&#x017F;chrieben i&#x017F;t,<lb/>
und ihnen die Vernunft lehret, richten <note place="foot" n="*)">Ro&#x0364;m. Cap. 2. v. 12.</note>,<lb/>
und niemand Unrecht thun werde <note place="foot" n="**)">Matth. C. 11. v. 22. 24. Luc. C. 12.<lb/>
v. 48.</note>. Ja<lb/>
wird ein Heide Gott &#x017F;o, wie jener heidni-<lb/>
&#x017F;che Hauptmann Cornelius <note place="foot" n="***)">Apo&#x017F;t. Ge&#x017F;ch. C. 10. v. 1. u. f.</note> &#x017F;uchen,<lb/>
&#x017F;o wird er den&#x017F;elben auch nicht ohne Gnade<lb/>
und Erbarmung la&#x017F;&#x017F;en.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 44.</head><lb/>
          <note place="left">Erbauliche<lb/>
Anwen-<lb/>
dung die&#x017F;er<lb/>
Betrach-<lb/>
tung.</note>
          <p>Geliebte&#x017F;ter Le&#x017F;er, wa&#x0364;re es vernu&#x0364;nftig,<lb/>
wa&#x0364;re es billig, wa&#x0364;ren wir edel in den Au-<lb/>
gen des Allwi&#x017F;&#x017F;enden und Heilig&#x017F;ten, der<lb/>
das Jnner&#x017F;te un&#x017F;ers Herzens &#x017F;iehet, wenn<lb/>
wir die&#x017F;e Betrachtung von uns legten, ohne<lb/>
das gro&#x017F;&#x017F;e Glu&#x0364;ck, ohne die Barmherzigkeit<lb/>
zu erwa&#x0364;gen, deren wir als Chri&#x017F;ten theil-<lb/>
haftig worden &#x017F;ind? So viele Jahre, &#x017F;o<lb/>
viele gro&#x017F;&#x017F;e An&#x017F;talten, eine &#x017F;o langmu&#x0364;thige<lb/>
Gedult i&#x017F;t no&#x0364;thig gewe&#x017F;en, ehe nur ein<lb/>
Theil der Vo&#x0364;lker aus ihrer Kindheit, aus<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dem</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[116/0136] von einem ganz wuͤſten Leben ſich zu Gott zu wenden, und einen Chriſtlichen Sinn anzunehmen. Soll Gott viele auf eine ſolche Art bekehren? Endlich bedenke ich zu meiner Beruhigung, daß Gott jene Voͤl- ker, jene Staͤdte, jene Perſonen nicht nach ſeinem geoffenbarten Worte, ſondern nach dem Geſetze, ſo in ihr Herz geſchrieben iſt, und ihnen die Vernunft lehret, richten *), und niemand Unrecht thun werde **). Ja wird ein Heide Gott ſo, wie jener heidni- ſche Hauptmann Cornelius ***) ſuchen, ſo wird er denſelben auch nicht ohne Gnade und Erbarmung laſſen. §. 44. Geliebteſter Leſer, waͤre es vernuͤnftig, waͤre es billig, waͤren wir edel in den Au- gen des Allwiſſenden und Heiligſten, der das Jnnerſte unſers Herzens ſiehet, wenn wir dieſe Betrachtung von uns legten, ohne das groſſe Gluͤck, ohne die Barmherzigkeit zu erwaͤgen, deren wir als Chriſten theil- haftig worden ſind? So viele Jahre, ſo viele groſſe Anſtalten, eine ſo langmuͤthige Gedult iſt noͤthig geweſen, ehe nur ein Theil der Voͤlker aus ihrer Kindheit, aus dem *) Roͤm. Cap. 2. v. 12. **) Matth. C. 11. v. 22. 24. Luc. C. 12. v. 48. ***) Apoſt. Geſch. C. 10. v. 1. u. f.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/136
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/136>, abgerufen am 20.11.2024.