aber auch ferner aus der Erfahrung klar, daß ein gebaueter Verstand, ein erhöheter Geschmack und ein langer Friede gewisse Laster zeuge, welche ein finsterer Verstand, und ein grobes Gefühl, das nur zu schwe- rer Arbeit und zu den Strapazen des Krie- ges gehärtet worden, nicht kennet. Als unsere Vorfahren noch in jenen dunkeln und rauhen Zeiten lebeten, so waren ihnen Falschheit, feiner Betrug und künstliche Liebeshändel unbekannte Laster, denn da- zu hatten sie nicht Verstand genug. Da aber die Wissenschaften und Künste unter uns gemeiner worden, so haben wir mit denselben auch Laster bekommen, welche ohne jene Quellen nicht möglich sind. Der aufgeklärte Verstand erfindet unzählige Schikanen und feine Betrügereyen. Ein zärtliches Gefühl, Künste und Friede zeu- gen Ueppigkeit und allerhand Wollüste, und diese Verschwendung, und dieser Dieb- stahl, Vervortheilungen, allerhand Be- drückungen und gekünstelte Grausamkei- ten. Jn einer solchen Verfassung war ein grosser Theil der Welt, da Gott in einer Menschheit erschien, die Sterblichen in grösserer Anzahl und näher mit sich zu ver- binden und ihnen eine selige Unsterblichkeit anzubieten. Der Verstand war mehr ge- bauet und das innere Gefühl war empfind- licher und zärtlicher und der Kriege waren viel weniger, wie in den vorhergehenden
Zeiten,
aber auch ferner aus der Erfahrung klar, daß ein gebaueter Verſtand, ein erhoͤheter Geſchmack und ein langer Friede gewiſſe Laſter zeuge, welche ein finſterer Verſtand, und ein grobes Gefuͤhl, das nur zu ſchwe- rer Arbeit und zu den Strapazen des Krie- ges gehaͤrtet worden, nicht kennet. Als unſere Vorfahren noch in jenen dunkeln und rauhen Zeiten lebeten, ſo waren ihnen Falſchheit, feiner Betrug und kuͤnſtliche Liebeshaͤndel unbekannte Laſter, denn da- zu hatten ſie nicht Verſtand genug. Da aber die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte unter uns gemeiner worden, ſo haben wir mit denſelben auch Laſter bekommen, welche ohne jene Quellen nicht moͤglich ſind. Der aufgeklaͤrte Verſtand erfindet unzaͤhlige Schikanen und feine Betruͤgereyen. Ein zaͤrtliches Gefuͤhl, Kuͤnſte und Friede zeu- gen Ueppigkeit und allerhand Wolluͤſte, und dieſe Verſchwendung, und dieſer Dieb- ſtahl, Vervortheilungen, allerhand Be- druͤckungen und gekuͤnſtelte Grauſamkei- ten. Jn einer ſolchen Verfaſſung war ein groſſer Theil der Welt, da Gott in einer Menſchheit erſchien, die Sterblichen in groͤſſerer Anzahl und naͤher mit ſich zu ver- binden und ihnen eine ſelige Unſterblichkeit anzubieten. Der Verſtand war mehr ge- bauet und das innere Gefuͤhl war empfind- licher und zaͤrtlicher und der Kriege waren viel weniger, wie in den vorhergehenden
Zeiten,
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aber auch ferner aus der Erfahrung klar,
daß ein gebaueter Verſtand, ein erhoͤheter
Geſchmack und ein langer Friede gewiſſe
Laſter zeuge, welche ein finſterer Verſtand,
und ein grobes Gefuͤhl, das nur zu ſchwe-
rer Arbeit und zu den Strapazen des Krie-
ges gehaͤrtet worden, nicht kennet. Als
unſere Vorfahren noch in jenen dunkeln und
rauhen Zeiten lebeten, ſo waren ihnen
Falſchheit, feiner Betrug und kuͤnſtliche
Liebeshaͤndel unbekannte Laſter, denn da-
zu hatten ſie nicht Verſtand genug. Da
aber die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte unter
uns gemeiner worden, ſo haben wir mit
denſelben auch Laſter bekommen, welche
ohne jene Quellen nicht moͤglich ſind. Der
aufgeklaͤrte Verſtand erfindet unzaͤhlige
Schikanen und feine Betruͤgereyen. Ein
zaͤrtliches Gefuͤhl, Kuͤnſte und Friede zeu-
gen Ueppigkeit und allerhand Wolluͤſte,
und dieſe Verſchwendung, und dieſer Dieb-
ſtahl, Vervortheilungen, allerhand Be-
druͤckungen und gekuͤnſtelte Grauſamkei-
ten. Jn einer ſolchen Verfaſſung war ein
groſſer Theil der Welt, da Gott in einer
Menſchheit erſchien, die Sterblichen in
groͤſſerer Anzahl und naͤher mit ſich zu ver-
binden und ihnen eine ſelige Unſterblichkeit
anzubieten. Der Verſtand war mehr ge-
bauet und das innere Gefuͤhl war empfind-
licher und zaͤrtlicher und der Kriege waren
viel weniger, wie in den vorhergehenden
Zeiten,
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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/115>, abgerufen am 26.11.2024.
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