Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

Bild:
<< vorherige Seite



eine Fluth herein brechen könnte. Wenn
die Sachen dergestalt stehen, so wird ein
weiser General das Sicherste dem Wahr-
scheinlichsten vorziehen, und den Angriff
nicht wagen. Und eben so wird es ein klu-
ger Mensch in andern ähnlichen Fällen
machen.

§. XIII.

Vielleicht wundern sich einige, daß ichWie weit
historische
Wahrhei-
ten andern
demon-
strirten
Sätzen
gleich zu
achten?

Sätze, die man bloß aus klaren Zeugnissen
glaubhafter Leute hat, mit denen in eine
Classe gesetzt, welche man durch gantz kurtze
Beweise ohne fremde Zeugnisse ausmachen
kan, und jenen einen gleichen Grad der Ge-
wißheit zueigne. Jch weiß gar wohl, wie
weit man die historischen Wahrheiten un-
ter die mathematischen und philosophischen
zu setzen pflege, und daß man von demje-
nigen glaubt, er rede nicht accurat, der da
saget, er wisse historische Wahrheiten. Er
muß sprechen, er glaube sie. Jch befürch-
te aber, daß unser Wissen, wo nicht gantz,
doch grösten Theils hinweg falle, wenn da
kein Wissen soll Statt finden, wo man sich
auf Zeugnisse anderer gründet. Wie viel
sind denn der Wissenschaften, welche nicht
unter ihren ersten Gründen historische

Wahr-



eine Fluth herein brechen koͤnnte. Wenn
die Sachen dergeſtalt ſtehen, ſo wird ein
weiſer General das Sicherſte dem Wahr-
ſcheinlichſten vorziehen, und den Angriff
nicht wagen. Und eben ſo wird es ein klu-
ger Menſch in andern aͤhnlichen Faͤllen
machen.

§. XIII.

Vielleicht wundern ſich einige, daß ichWie weit
hiſtoriſche
Wahrhei-
ten andern
demon-
ſtrirten
Saͤtzen
gleich zu
achten?

Saͤtze, die man bloß aus klaren Zeugniſſen
glaubhafter Leute hat, mit denen in eine
Claſſe geſetzt, welche man durch gantz kurtze
Beweiſe ohne fremde Zeugniſſe ausmachen
kan, und jenen einen gleichen Grad der Ge-
wißheit zueigne. Jch weiß gar wohl, wie
weit man die hiſtoriſchen Wahrheiten un-
ter die mathematiſchen und philoſophiſchen
zu ſetzen pflege, und daß man von demje-
nigen glaubt, er rede nicht accurat, der da
ſaget, er wiſſe hiſtoriſche Wahrheiten. Er
muß ſprechen, er glaube ſie. Jch befuͤrch-
te aber, daß unſer Wiſſen, wo nicht gantz,
doch groͤſten Theils hinweg falle, wenn da
kein Wiſſen ſoll Statt finden, wo man ſich
auf Zeugniſſe anderer gruͤndet. Wie viel
ſind denn der Wiſſenſchaften, welche nicht
unter ihren erſten Gruͤnden hiſtoriſche

Wahr-
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0049" n="31"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
eine Fluth herein brechen ko&#x0364;nnte. Wenn<lb/>
die Sachen derge&#x017F;talt &#x017F;tehen, &#x017F;o wird ein<lb/>
wei&#x017F;er General das Sicher&#x017F;te dem Wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich&#x017F;ten vorziehen, und den Angriff<lb/>
nicht wagen. Und eben &#x017F;o wird es ein klu-<lb/>
ger Men&#x017F;ch in andern a&#x0364;hnlichen Fa&#x0364;llen<lb/>
machen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. <hi rendition="#aq">XIII.</hi></head><lb/>
          <p>Vielleicht wundern &#x017F;ich einige, daß ich<note place="right">Wie weit<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;che<lb/>
Wahrhei-<lb/>
ten andern<lb/>
demon-<lb/>
&#x017F;trirten<lb/>
Sa&#x0364;tzen<lb/>
gleich zu<lb/>
achten?</note><lb/>
Sa&#x0364;tze, die man bloß aus klaren Zeugni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
glaubhafter Leute hat, mit denen in eine<lb/>
Cla&#x017F;&#x017F;e ge&#x017F;etzt, welche man durch gantz kurtze<lb/>
Bewei&#x017F;e ohne fremde Zeugni&#x017F;&#x017F;e ausmachen<lb/>
kan, und jenen einen gleichen Grad der Ge-<lb/>
wißheit zueigne. Jch weiß gar wohl, wie<lb/>
weit man die hi&#x017F;tori&#x017F;chen Wahrheiten un-<lb/>
ter die mathemati&#x017F;chen und philo&#x017F;ophi&#x017F;chen<lb/>
zu &#x017F;etzen pflege, und daß man von demje-<lb/>
nigen glaubt, er rede nicht accurat, der da<lb/>
&#x017F;aget, er wi&#x017F;&#x017F;e hi&#x017F;tori&#x017F;che Wahrheiten. Er<lb/>
muß &#x017F;prechen, er glaube &#x017F;ie. Jch befu&#x0364;rch-<lb/>
te aber, daß un&#x017F;er Wi&#x017F;&#x017F;en, wo nicht gantz,<lb/>
doch gro&#x0364;&#x017F;ten Theils hinweg falle, wenn da<lb/>
kein Wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;oll Statt finden, wo man &#x017F;ich<lb/>
auf Zeugni&#x017F;&#x017F;e anderer gru&#x0364;ndet. Wie viel<lb/>
&#x017F;ind denn der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, welche nicht<lb/>
unter ihren er&#x017F;ten Gru&#x0364;nden hi&#x017F;tori&#x017F;che<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Wahr-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[31/0049] eine Fluth herein brechen koͤnnte. Wenn die Sachen dergeſtalt ſtehen, ſo wird ein weiſer General das Sicherſte dem Wahr- ſcheinlichſten vorziehen, und den Angriff nicht wagen. Und eben ſo wird es ein klu- ger Menſch in andern aͤhnlichen Faͤllen machen. §. XIII. Vielleicht wundern ſich einige, daß ich Saͤtze, die man bloß aus klaren Zeugniſſen glaubhafter Leute hat, mit denen in eine Claſſe geſetzt, welche man durch gantz kurtze Beweiſe ohne fremde Zeugniſſe ausmachen kan, und jenen einen gleichen Grad der Ge- wißheit zueigne. Jch weiß gar wohl, wie weit man die hiſtoriſchen Wahrheiten un- ter die mathematiſchen und philoſophiſchen zu ſetzen pflege, und daß man von demje- nigen glaubt, er rede nicht accurat, der da ſaget, er wiſſe hiſtoriſche Wahrheiten. Er muß ſprechen, er glaube ſie. Jch befuͤrch- te aber, daß unſer Wiſſen, wo nicht gantz, doch groͤſten Theils hinweg falle, wenn da kein Wiſſen ſoll Statt finden, wo man ſich auf Zeugniſſe anderer gruͤndet. Wie viel ſind denn der Wiſſenſchaften, welche nicht unter ihren erſten Gruͤnden hiſtoriſche Wahr- Wie weit hiſtoriſche Wahrhei- ten andern demon- ſtrirten Saͤtzen gleich zu achten?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/49
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/49>, abgerufen am 23.11.2024.