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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

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Wälle und Mauern wider einander bauen
müssen. Dieses alles ist nicht genug zu
verhüten, daß nicht einer dem andern das
Seinige raubet, ihm gar Glieder und Le-
ben nimmt, und mit Vergnügen unschul-
dig Blut fliessen siehet. O! schändlicher
Ruhm für vernünftige Geschöpfe! Unseli-
ger Verfall! Niemand würde gerechte
Ursache haben sich zu beklagen, wenn uns
der vollkommenste GOtt unwürdig achtete
in seiner Welt unter seinen Geschöpfen zu
dulden. Allein bemercket hier die Unend-
lichkeit einer erbarmenden Liebe. Hier
äussert sich ein Vater-Hertz, welches zwar
an den Untugenden eines ungerathenen
Sohns einen grossen Abscheu findet; aber
dennoch nicht auf hören kan, sein Kind zu
lieben. Es gehet ihm nach, es jammert
ihn das Unglück, in welches sich ein ver-
lohrner Sohn stürtzet. Der Heiligste kan
nicht anders als unsere grosse Unarth has-
sen. Allein der Abscheu, welchen er an
unserm schändlichen Betragen hat, hebt
seine Vater-Liebe gegen seine abtrünnige
Kinder nicht auf. Das Elend, worein sie
sich stürtzen, gehet ihm nahe. Seine Be-
gierde, sie wieder glücklich zu sehen, hat kein

Ende.



Waͤlle und Mauern wider einander bauen
muͤſſen. Dieſes alles iſt nicht genug zu
verhuͤten, daß nicht einer dem andern das
Seinige raubet, ihm gar Glieder und Le-
ben nimmt, und mit Vergnuͤgen unſchul-
dig Blut flieſſen ſiehet. O! ſchaͤndlicher
Ruhm fuͤr vernuͤnftige Geſchoͤpfe! Unſeli-
ger Verfall! Niemand wuͤrde gerechte
Urſache haben ſich zu beklagen, wenn uns
der vollkommenſte GOtt unwuͤrdig achtete
in ſeiner Welt unter ſeinen Geſchoͤpfen zu
dulden. Allein bemercket hier die Unend-
lichkeit einer erbarmenden Liebe. Hier
aͤuſſert ſich ein Vater-Hertz, welches zwar
an den Untugenden eines ungerathenen
Sohns einen groſſen Abſcheu findet; aber
dennoch nicht auf hoͤren kan, ſein Kind zu
lieben. Es gehet ihm nach, es jammert
ihn das Ungluͤck, in welches ſich ein ver-
lohrner Sohn ſtuͤrtzet. Der Heiligſte kan
nicht anders als unſere groſſe Unarth haſ-
ſen. Allein der Abſcheu, welchen er an
unſerm ſchaͤndlichen Betragen hat, hebt
ſeine Vater-Liebe gegen ſeine abtruͤnnige
Kinder nicht auf. Das Elend, worein ſie
ſich ſtuͤrtzen, gehet ihm nahe. Seine Be-
gierde, ſie wieder gluͤcklich zu ſehen, hat kein

Ende.
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[356/0374] Waͤlle und Mauern wider einander bauen muͤſſen. Dieſes alles iſt nicht genug zu verhuͤten, daß nicht einer dem andern das Seinige raubet, ihm gar Glieder und Le- ben nimmt, und mit Vergnuͤgen unſchul- dig Blut flieſſen ſiehet. O! ſchaͤndlicher Ruhm fuͤr vernuͤnftige Geſchoͤpfe! Unſeli- ger Verfall! Niemand wuͤrde gerechte Urſache haben ſich zu beklagen, wenn uns der vollkommenſte GOtt unwuͤrdig achtete in ſeiner Welt unter ſeinen Geſchoͤpfen zu dulden. Allein bemercket hier die Unend- lichkeit einer erbarmenden Liebe. Hier aͤuſſert ſich ein Vater-Hertz, welches zwar an den Untugenden eines ungerathenen Sohns einen groſſen Abſcheu findet; aber dennoch nicht auf hoͤren kan, ſein Kind zu lieben. Es gehet ihm nach, es jammert ihn das Ungluͤck, in welches ſich ein ver- lohrner Sohn ſtuͤrtzet. Der Heiligſte kan nicht anders als unſere groſſe Unarth haſ- ſen. Allein der Abſcheu, welchen er an unſerm ſchaͤndlichen Betragen hat, hebt ſeine Vater-Liebe gegen ſeine abtruͤnnige Kinder nicht auf. Das Elend, worein ſie ſich ſtuͤrtzen, gehet ihm nahe. Seine Be- gierde, ſie wieder gluͤcklich zu ſehen, hat kein Ende.

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/374>, abgerufen am 25.11.2024.