Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

Bild:
<< vorherige Seite



sich nach demjenigen richten, wobey man die
wenigste Gefahr hat. Die Wahrheit
von der Allwissenheit GOttes ist ein solcher
Satz, der einen grossen Einfluß in unsre
Handlungen und die gantze Verfassung
unsers Gemüths hat. Wir wollen ihn
derowegen nach unserm Beweise anjetzo
nur als wahrscheinlich ansehen, und unter-
suchen, welches am sichersten, GOtt als ei-
nen Allwissenden anzunehmen und zu ver-
ehren, oder ob es sicherer, ihm die Allwissen-
heit abzusprechen. Gesetzt, der Verstand
des Schöpfers hätte Schrancken, so würde
es mir doch nicht schaden, wenn ich ihn als
einen Allwissenden verehrte, vielleicht er-
führe er meine Gedancken von ihm nicht
einmal, oder wenn sie ihm kund würden,
würde er es mir leicht verzeihn, daß ich ihn
für vollkommner hielte, als er wäre. Es
würde mir indessen dieser Jrrthum, wenn
es einer wäre, eine starcke Neigung zur Tu-
gend geben, und überhaupt die Ruhe mei-
nes Gemüths sehr befördern. Jst aber
GOtt wahrhafftig allwissend, sollte es nicht
eine strafbare Verwegenheit und eine
schwere Beleidigung der höchsten Majestät
seyn? Wenn man bey so vielen Proben

einer



ſich nach demjenigen richten, wobey man die
wenigſte Gefahr hat. Die Wahrheit
von der Allwiſſenheit GOttes iſt ein ſolcher
Satz, der einen groſſen Einfluß in unſre
Handlungen und die gantze Verfaſſung
unſers Gemuͤths hat. Wir wollen ihn
derowegen nach unſerm Beweiſe anjetzo
nur als wahrſcheinlich anſehen, und unter-
ſuchen, welches am ſicherſten, GOtt als ei-
nen Allwiſſenden anzunehmen und zu ver-
ehren, oder ob es ſicherer, ihm die Allwiſſen-
heit abzuſprechen. Geſetzt, der Verſtand
des Schoͤpfers haͤtte Schrancken, ſo wuͤrde
es mir doch nicht ſchaden, wenn ich ihn als
einen Allwiſſenden verehrte, vielleicht er-
fuͤhre er meine Gedancken von ihm nicht
einmal, oder wenn ſie ihm kund wuͤrden,
wuͤrde er es mir leicht verzeihn, daß ich ihn
fuͤr vollkommner hielte, als er waͤre. Es
wuͤrde mir indeſſen dieſer Jrrthum, wenn
es einer waͤre, eine ſtarcke Neigung zur Tu-
gend geben, und uͤberhaupt die Ruhe mei-
nes Gemuͤths ſehr befoͤrdern. Jſt aber
GOtt wahrhafftig allwiſſend, ſollte es nicht
eine ſtrafbare Verwegenheit und eine
ſchwere Beleidigung der hoͤchſten Majeſtaͤt
ſeyn? Wenn man bey ſo vielen Proben

einer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0340" n="322"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;ich nach demjenigen richten, wobey man die<lb/>
wenig&#x017F;te Gefahr hat. Die Wahrheit<lb/>
von der Allwi&#x017F;&#x017F;enheit GOttes i&#x017F;t ein &#x017F;olcher<lb/>
Satz, der einen gro&#x017F;&#x017F;en Einfluß in un&#x017F;re<lb/>
Handlungen und die gantze Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
un&#x017F;ers Gemu&#x0364;ths hat. Wir wollen ihn<lb/>
derowegen nach un&#x017F;erm Bewei&#x017F;e anjetzo<lb/>
nur als wahr&#x017F;cheinlich an&#x017F;ehen, und unter-<lb/>
&#x017F;uchen, welches am &#x017F;icher&#x017F;ten, GOtt als ei-<lb/>
nen Allwi&#x017F;&#x017F;enden anzunehmen und zu ver-<lb/>
ehren, oder ob es &#x017F;icherer, ihm die Allwi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
heit abzu&#x017F;prechen. Ge&#x017F;etzt, der Ver&#x017F;tand<lb/>
des Scho&#x0364;pfers ha&#x0364;tte Schrancken, &#x017F;o wu&#x0364;rde<lb/>
es mir doch nicht &#x017F;chaden, wenn ich ihn als<lb/>
einen Allwi&#x017F;&#x017F;enden verehrte, vielleicht er-<lb/>
fu&#x0364;hre er meine Gedancken von ihm nicht<lb/>
einmal, oder wenn &#x017F;ie ihm kund wu&#x0364;rden,<lb/>
wu&#x0364;rde er es mir leicht verzeihn, daß ich ihn<lb/>
fu&#x0364;r vollkommner hielte, als er wa&#x0364;re. Es<lb/>
wu&#x0364;rde mir inde&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;er Jrrthum, wenn<lb/>
es einer wa&#x0364;re, eine &#x017F;tarcke Neigung zur Tu-<lb/>
gend geben, und u&#x0364;berhaupt die Ruhe mei-<lb/>
nes Gemu&#x0364;ths &#x017F;ehr befo&#x0364;rdern. J&#x017F;t aber<lb/>
GOtt wahrhafftig allwi&#x017F;&#x017F;end, &#x017F;ollte es nicht<lb/>
eine &#x017F;trafbare Verwegenheit und eine<lb/>
&#x017F;chwere Beleidigung der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Maje&#x017F;ta&#x0364;t<lb/>
&#x017F;eyn? Wenn man bey &#x017F;o vielen Proben<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">einer</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[322/0340] ſich nach demjenigen richten, wobey man die wenigſte Gefahr hat. Die Wahrheit von der Allwiſſenheit GOttes iſt ein ſolcher Satz, der einen groſſen Einfluß in unſre Handlungen und die gantze Verfaſſung unſers Gemuͤths hat. Wir wollen ihn derowegen nach unſerm Beweiſe anjetzo nur als wahrſcheinlich anſehen, und unter- ſuchen, welches am ſicherſten, GOtt als ei- nen Allwiſſenden anzunehmen und zu ver- ehren, oder ob es ſicherer, ihm die Allwiſſen- heit abzuſprechen. Geſetzt, der Verſtand des Schoͤpfers haͤtte Schrancken, ſo wuͤrde es mir doch nicht ſchaden, wenn ich ihn als einen Allwiſſenden verehrte, vielleicht er- fuͤhre er meine Gedancken von ihm nicht einmal, oder wenn ſie ihm kund wuͤrden, wuͤrde er es mir leicht verzeihn, daß ich ihn fuͤr vollkommner hielte, als er waͤre. Es wuͤrde mir indeſſen dieſer Jrrthum, wenn es einer waͤre, eine ſtarcke Neigung zur Tu- gend geben, und uͤberhaupt die Ruhe mei- nes Gemuͤths ſehr befoͤrdern. Jſt aber GOtt wahrhafftig allwiſſend, ſollte es nicht eine ſtrafbare Verwegenheit und eine ſchwere Beleidigung der hoͤchſten Majeſtaͤt ſeyn? Wenn man bey ſo vielen Proben einer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/340
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/340>, abgerufen am 28.11.2024.