Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

Bild:
<< vorherige Seite



Jch sahe vor einiger Zeit eine kleine Spin-
ne, welche die Sonnen-Wärme aus ih-
rem Eye ausgebrütet. Sie brachte aus
ihrem Eye so viel zähen Saft mit, daß sie
ein kleines aber sehr ordentliches Gewebe
machen konnte. Sie spanne selbiges mit
einer grossen Fertigkeit und mit solchen
subtilen Faden, die nichts als eine gantz
kleine Fliege halten konnten. Sie erreich-
te aber ihren Zweck, daß sie dergleichen in
ihrem Gespinste fieng und sich damit fut-
terte. Sie wuchs, und machte ihr Gewe-
be immer grösser, dichter und stärcker, und
mehrte sich von den Fliegen, die ich ihr
zum Theil selber zubrachte. Mit diesen
Fliegen wurde auch der Stoff zu einigen
andern Fliegen vernichtet. Hätte dieses
aber nicht seyn sollen, so wäre die Spinne
nach ihrer ersten Auswickelung wieder ge-
storben. Streitet denn aber eine solche
Einrichtung wider oder für die Allwissen-
heit des Schöpfers? Und wer kan denn
sagen, daß nicht diese und dergleichen Ur-
sachen bey allen denen Dingen sind, wel-
che die Vollkommenheit anderer ihres glei-
chen nicht erreichen. Will sich jemand
auf die Allmacht GOttes hiebey berufen

und



Jch ſahe vor einiger Zeit eine kleine Spin-
ne, welche die Sonnen-Waͤrme aus ih-
rem Eye ausgebruͤtet. Sie brachte aus
ihrem Eye ſo viel zaͤhen Saft mit, daß ſie
ein kleines aber ſehr ordentliches Gewebe
machen konnte. Sie ſpanne ſelbiges mit
einer groſſen Fertigkeit und mit ſolchen
ſubtilen Faden, die nichts als eine gantz
kleine Fliege halten konnten. Sie erreich-
te aber ihren Zweck, daß ſie dergleichen in
ihrem Geſpinſte fieng und ſich damit fut-
terte. Sie wuchs, und machte ihr Gewe-
be immer groͤſſer, dichter und ſtaͤrcker, und
mehrte ſich von den Fliegen, die ich ihr
zum Theil ſelber zubrachte. Mit dieſen
Fliegen wurde auch der Stoff zu einigen
andern Fliegen vernichtet. Haͤtte dieſes
aber nicht ſeyn ſollen, ſo waͤre die Spinne
nach ihrer erſten Auswickelung wieder ge-
ſtorben. Streitet denn aber eine ſolche
Einrichtung wider oder fuͤr die Allwiſſen-
heit des Schoͤpfers? Und wer kan denn
ſagen, daß nicht dieſe und dergleichen Ur-
ſachen bey allen denen Dingen ſind, wel-
che die Vollkommenheit anderer ihres glei-
chen nicht erreichen. Will ſich jemand
auf die Allmacht GOttes hiebey berufen

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0306" n="288"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Jch &#x017F;ahe vor einiger Zeit eine kleine Spin-<lb/>
ne, welche die Sonnen-Wa&#x0364;rme aus ih-<lb/>
rem Eye ausgebru&#x0364;tet. Sie brachte aus<lb/>
ihrem Eye &#x017F;o viel za&#x0364;hen Saft mit, daß &#x017F;ie<lb/>
ein kleines aber &#x017F;ehr ordentliches Gewebe<lb/>
machen konnte. Sie &#x017F;panne &#x017F;elbiges mit<lb/>
einer gro&#x017F;&#x017F;en Fertigkeit und mit &#x017F;olchen<lb/>
&#x017F;ubtilen Faden, die nichts als eine gantz<lb/>
kleine Fliege halten konnten. Sie erreich-<lb/>
te aber ihren Zweck, daß &#x017F;ie dergleichen in<lb/>
ihrem Ge&#x017F;pin&#x017F;te fieng und &#x017F;ich damit fut-<lb/>
terte. Sie wuchs, und machte ihr Gewe-<lb/>
be immer gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er, dichter und &#x017F;ta&#x0364;rcker, und<lb/>
mehrte &#x017F;ich von den Fliegen, die ich ihr<lb/>
zum Theil &#x017F;elber zubrachte. Mit die&#x017F;en<lb/>
Fliegen wurde auch der Stoff zu einigen<lb/>
andern Fliegen vernichtet. Ha&#x0364;tte die&#x017F;es<lb/>
aber nicht &#x017F;eyn &#x017F;ollen, &#x017F;o wa&#x0364;re die Spinne<lb/>
nach ihrer er&#x017F;ten Auswickelung wieder ge-<lb/>
&#x017F;torben. Streitet denn aber eine &#x017F;olche<lb/>
Einrichtung wider oder fu&#x0364;r die Allwi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
heit des Scho&#x0364;pfers? Und wer kan denn<lb/>
&#x017F;agen, daß nicht die&#x017F;e und dergleichen Ur-<lb/>
&#x017F;achen bey allen denen Dingen &#x017F;ind, wel-<lb/>
che die Vollkommenheit anderer ihres glei-<lb/>
chen nicht erreichen. Will &#x017F;ich jemand<lb/>
auf die Allmacht GOttes hiebey berufen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0306] Jch ſahe vor einiger Zeit eine kleine Spin- ne, welche die Sonnen-Waͤrme aus ih- rem Eye ausgebruͤtet. Sie brachte aus ihrem Eye ſo viel zaͤhen Saft mit, daß ſie ein kleines aber ſehr ordentliches Gewebe machen konnte. Sie ſpanne ſelbiges mit einer groſſen Fertigkeit und mit ſolchen ſubtilen Faden, die nichts als eine gantz kleine Fliege halten konnten. Sie erreich- te aber ihren Zweck, daß ſie dergleichen in ihrem Geſpinſte fieng und ſich damit fut- terte. Sie wuchs, und machte ihr Gewe- be immer groͤſſer, dichter und ſtaͤrcker, und mehrte ſich von den Fliegen, die ich ihr zum Theil ſelber zubrachte. Mit dieſen Fliegen wurde auch der Stoff zu einigen andern Fliegen vernichtet. Haͤtte dieſes aber nicht ſeyn ſollen, ſo waͤre die Spinne nach ihrer erſten Auswickelung wieder ge- ſtorben. Streitet denn aber eine ſolche Einrichtung wider oder fuͤr die Allwiſſen- heit des Schoͤpfers? Und wer kan denn ſagen, daß nicht dieſe und dergleichen Ur- ſachen bey allen denen Dingen ſind, wel- che die Vollkommenheit anderer ihres glei- chen nicht erreichen. Will ſich jemand auf die Allmacht GOttes hiebey berufen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/306
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/306>, abgerufen am 27.11.2024.