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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

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dessen, der die Einrichtung gemacht? Jch
war vor einiger Zeit bey ein paar guten
Freunden, welche mit dem Damen-Spiel
sich belustigten. Beide hatten in dem ei-
nen Spiel noch vier Damen gegen einan-
der. Die Steine kamen so zu stehen, daß
der eine sich dreye schlagen ließ, und dadurch
des andern Steine in eine solche Verhält-
niß brachte, daß er mit dem einen, so ihm
noch übrig blieb, die vier Damen des an-
dern auf einmal vom Brete brachte. Es
stund ein junger Anfänger in diesem Spie-
le dabey. Als selbiger sahe, daß der erste
den Zug that, dadurch er drey Steine ver-
lohr, drehete er sich geschwind um und
rief: O ein Fehler! das war ein grob
Versehen! Er hielt für eine Unwissenheit
der Folge, was in der That eine grosse Klug-
heit war, und von einer grossen Einsicht in
das Spiel zeugete. Sollte es uns wohl
nicht eben so gehen, wenn wir uns unter-
stehen, von Dingen in dem grossen Zusam-
menhange der Welt zu urtheilen, daß sie
Folgen eines eingeschränckten Verstandes
wären?

§. 5.
S 2



deſſen, der die Einrichtung gemacht? Jch
war vor einiger Zeit bey ein paar guten
Freunden, welche mit dem Damen-Spiel
ſich beluſtigten. Beide hatten in dem ei-
nen Spiel noch vier Damen gegen einan-
der. Die Steine kamen ſo zu ſtehen, daß
der eine ſich dreye ſchlagen ließ, und dadurch
des andern Steine in eine ſolche Verhaͤlt-
niß brachte, daß er mit dem einen, ſo ihm
noch uͤbrig blieb, die vier Damen des an-
dern auf einmal vom Brete brachte. Es
ſtund ein junger Anfaͤnger in dieſem Spie-
le dabey. Als ſelbiger ſahe, daß der erſte
den Zug that, dadurch er drey Steine ver-
lohr, drehete er ſich geſchwind um und
rief: O ein Fehler! das war ein grob
Verſehen! Er hielt fuͤr eine Unwiſſenheit
der Folge, was in der That eine groſſe Klug-
heit war, und von einer groſſen Einſicht in
das Spiel zeugete. Sollte es uns wohl
nicht eben ſo gehen, wenn wir uns unter-
ſtehen, von Dingen in dem groſſen Zuſam-
menhange der Welt zu urtheilen, daß ſie
Folgen eines eingeſchraͤnckten Verſtandes
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S 2
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[275/0293] deſſen, der die Einrichtung gemacht? Jch war vor einiger Zeit bey ein paar guten Freunden, welche mit dem Damen-Spiel ſich beluſtigten. Beide hatten in dem ei- nen Spiel noch vier Damen gegen einan- der. Die Steine kamen ſo zu ſtehen, daß der eine ſich dreye ſchlagen ließ, und dadurch des andern Steine in eine ſolche Verhaͤlt- niß brachte, daß er mit dem einen, ſo ihm noch uͤbrig blieb, die vier Damen des an- dern auf einmal vom Brete brachte. Es ſtund ein junger Anfaͤnger in dieſem Spie- le dabey. Als ſelbiger ſahe, daß der erſte den Zug that, dadurch er drey Steine ver- lohr, drehete er ſich geſchwind um und rief: O ein Fehler! das war ein grob Verſehen! Er hielt fuͤr eine Unwiſſenheit der Folge, was in der That eine groſſe Klug- heit war, und von einer groſſen Einſicht in das Spiel zeugete. Sollte es uns wohl nicht eben ſo gehen, wenn wir uns unter- ſtehen, von Dingen in dem groſſen Zuſam- menhange der Welt zu urtheilen, daß ſie Folgen eines eingeſchraͤnckten Verſtandes waͤren? §. 5. S 2

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/293>, abgerufen am 24.11.2024.