Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.Allein ich erfuhr, was für eine unbeschreib- liche Gewalt hefftige Gemüths-Bewe- gungen über die Vernunft haben. Jch konnte zu keiner zuverläßigen Ueberzeugung und völligen Ruhe kommen. Jch erreich- te den Ort meiner Geburth. Der Leib war matt, und das Gemüth gantz kranck. Jeder Ort des väterlichen Hauses erin- nerte mich, theils an angenehme, grossen Theils aber an unangenehme Versuche, so meinen mit sich selbst streitenden Gedan- cken nach, mein Schöpfer mit mir gemacht, und die Furcht für den künftigen Experi- menten preßte mir allezeit den Wunsch aus, daß das letzte schon mit mir möchte gemacht seyn. Jch legte mich zur Ruhe, aber ich konnte nicht ruhen, da ich keine weise und gnädige Vorsehung wuste, die mein mor- gendes Schicksal zu bestimmen, im Stan- de war. Jch stund voller Verwirrung wieder auf. Mein geliebter Vater bemü- hete sich, mir allerhand Veränderung zu machen, und mein niedergeschlagenes Ge- müth aufzurichten. Er führte mich in eine Vogelschneise (*) um zu meinem Ver- gnügen selber ein Gericht Vögel auszuneh- men. Aber mein Gemüth rang auch hier beständig (*) Ein Schneisen-Gang, welchen ich an an-
dern Orten einen Donen-Steig nennen hö- ren, ist ein schmaler Gang, der in einem jun- gen Holtze aufgehauen wird, in welchen man alle zween Schritte von einander einen von Weiden oder andere Ruthen gemachten Bügel an einen jungen Baum befestiget, in einen solchen Bügel zwo oder drey Schlei- fen von Pferde-Haaren hanget, unter welche man ein wenig Vogel-Beere fest machet und darinne Drosseln und andere Vogel fän- get. Allein ich erfuhr, was fuͤr eine unbeſchreib- liche Gewalt hefftige Gemuͤths-Bewe- gungen uͤber die Vernunft haben. Jch konnte zu keiner zuverlaͤßigen Ueberzeugung und voͤlligen Ruhe kommen. Jch erreich- te den Ort meiner Geburth. Der Leib war matt, und das Gemuͤth gantz kranck. Jeder Ort des vaͤterlichen Hauſes erin- nerte mich, theils an angenehme, groſſen Theils aber an unangenehme Verſuche, ſo meinen mit ſich ſelbſt ſtreitenden Gedan- cken nach, mein Schoͤpfer mit mir gemacht, und die Furcht fuͤr den kuͤnftigen Experi- menten preßte mir allezeit den Wunſch aus, daß das letzte ſchon mit mir moͤchte gemacht ſeyn. Jch legte mich zur Ruhe, aber ich konnte nicht ruhen, da ich keine weiſe und gnaͤdige Vorſehung wuſte, die mein mor- gendes Schickſal zu beſtimmen, im Stan- de war. Jch ſtund voller Verwirrung wieder auf. Mein geliebter Vater bemuͤ- hete ſich, mir allerhand Veraͤnderung zu machen, und mein niedergeſchlagenes Ge- muͤth aufzurichten. Er fuͤhrte mich in eine Vogelſchneiſe (*) um zu meinem Ver- gnuͤgen ſelber ein Gericht Voͤgel auszuneh- men. Aber mein Gemuͤth rang auch hier beſtaͤndig (*) Ein Schneiſen-Gang, welchen ich an an-
dern Orten einen Donen-Steig nennen hoͤ- ren, iſt ein ſchmaler Gang, der in einem jun- gen Holtze aufgehauen wird, in welchen man alle zween Schritte von einander einen von Weiden oder andere Ruthen gemachten Buͤgel an einen jungen Baum befeſtiget, in einen ſolchen Buͤgel zwo oder drey Schlei- fen von Pferde-Haaren hanget, unter welche man ein wenig Vogel-Beere feſt machet und darinne Droſſeln und andere Vogel faͤn- get. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0285" n="267"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Allein ich erfuhr, was fuͤr eine unbeſchreib-<lb/> liche Gewalt hefftige Gemuͤths-Bewe-<lb/> gungen uͤber die Vernunft haben. Jch<lb/> konnte zu keiner zuverlaͤßigen Ueberzeugung<lb/> und voͤlligen Ruhe kommen. Jch erreich-<lb/> te den Ort meiner Geburth. Der Leib<lb/> war matt, und das Gemuͤth gantz kranck.<lb/> Jeder Ort des vaͤterlichen Hauſes erin-<lb/> nerte mich, theils an angenehme, groſſen<lb/> Theils aber an unangenehme Verſuche,<lb/> ſo meinen mit ſich ſelbſt ſtreitenden Gedan-<lb/> cken nach, mein Schoͤpfer mit mir gemacht,<lb/> und die Furcht fuͤr den kuͤnftigen Experi-<lb/> menten preßte mir allezeit den Wunſch aus,<lb/> daß das letzte ſchon mit mir moͤchte gemacht<lb/> ſeyn. Jch legte mich zur Ruhe, aber ich<lb/> konnte nicht ruhen, da ich keine weiſe und<lb/> gnaͤdige Vorſehung wuſte, die mein mor-<lb/> gendes Schickſal zu beſtimmen, im Stan-<lb/> de war. Jch ſtund voller Verwirrung<lb/> wieder auf. Mein geliebter Vater bemuͤ-<lb/> hete ſich, mir allerhand Veraͤnderung zu<lb/> machen, und mein niedergeſchlagenes Ge-<lb/> muͤth aufzurichten. Er fuͤhrte mich in<lb/> eine Vogelſchneiſe <note place="foot" n="(*)">Ein Schneiſen-Gang, welchen ich an an-<lb/> dern Orten einen Donen-Steig nennen hoͤ-<lb/> ren, iſt ein ſchmaler Gang, der in einem jun-<lb/> gen Holtze aufgehauen wird, in welchen<lb/> man alle zween Schritte von einander einen<lb/> von Weiden oder andere Ruthen gemachten<lb/> Buͤgel an einen jungen Baum befeſtiget,<lb/> in einen ſolchen Buͤgel zwo oder drey Schlei-<lb/> fen von Pferde-Haaren hanget, unter welche<lb/> man ein wenig Vogel-Beere feſt machet und<lb/> darinne Droſſeln und andere Vogel faͤn-<lb/> get.</note> um zu meinem Ver-<lb/> gnuͤgen ſelber ein Gericht Voͤgel auszuneh-<lb/> men. Aber mein Gemuͤth rang auch hier<lb/> <fw place="bottom" type="catch">beſtaͤndig</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [267/0285]
Allein ich erfuhr, was fuͤr eine unbeſchreib-
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konnte zu keiner zuverlaͤßigen Ueberzeugung
und voͤlligen Ruhe kommen. Jch erreich-
te den Ort meiner Geburth. Der Leib
war matt, und das Gemuͤth gantz kranck.
Jeder Ort des vaͤterlichen Hauſes erin-
nerte mich, theils an angenehme, groſſen
Theils aber an unangenehme Verſuche,
ſo meinen mit ſich ſelbſt ſtreitenden Gedan-
cken nach, mein Schoͤpfer mit mir gemacht,
und die Furcht fuͤr den kuͤnftigen Experi-
menten preßte mir allezeit den Wunſch aus,
daß das letzte ſchon mit mir moͤchte gemacht
ſeyn. Jch legte mich zur Ruhe, aber ich
konnte nicht ruhen, da ich keine weiſe und
gnaͤdige Vorſehung wuſte, die mein mor-
gendes Schickſal zu beſtimmen, im Stan-
de war. Jch ſtund voller Verwirrung
wieder auf. Mein geliebter Vater bemuͤ-
hete ſich, mir allerhand Veraͤnderung zu
machen, und mein niedergeſchlagenes Ge-
muͤth aufzurichten. Er fuͤhrte mich in
eine Vogelſchneiſe (*) um zu meinem Ver-
gnuͤgen ſelber ein Gericht Voͤgel auszuneh-
men. Aber mein Gemuͤth rang auch hier
beſtaͤndig
(*) Ein Schneiſen-Gang, welchen ich an an-
dern Orten einen Donen-Steig nennen hoͤ-
ren, iſt ein ſchmaler Gang, der in einem jun-
gen Holtze aufgehauen wird, in welchen
man alle zween Schritte von einander einen
von Weiden oder andere Ruthen gemachten
Buͤgel an einen jungen Baum befeſtiget,
in einen ſolchen Buͤgel zwo oder drey Schlei-
fen von Pferde-Haaren hanget, unter welche
man ein wenig Vogel-Beere feſt machet und
darinne Droſſeln und andere Vogel faͤn-
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