Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

Bild:
<< vorherige Seite


Wir wollen derowegen die verschiede-
nen Bedeutungen dieses Wortes bemer-
cken, und genau bestimmen, was für einen
Begrif wir in dieser und jener Frage da-
mit verknüpfen wollen. Erstlich bedeutet
das Wort Vernunft das Vermögen, so in
einem Geiste lieget, den Zusammenhang
von Wahrheiten einzusehen, es mag dieses
Vermögen sich durch seine Würckungen
äussern oder gantz still und in einem tiefen
Schlafe liegen. Jn dieser Bedeutung
nehmen dieses Wort diejenigen, welche den
Menschen dadurch von dem Viehe unter-
scheiden, daß sie ihn ein lebendiges Geschöpf
nennen, so Vernunft hat. Diejenigen,
welche diese Beschreibung von dem Men-
schen machen, fassen in selbige säugende
Kinder und schlafende Personen, und ver-
stehen daher unter der Vernunft nichts an-
ders als das blosse Vermögen einen Zu-
sammenhang von Wahrheiten einzusehen,
wenn auch gleich kein Gebrauch dieses Ver-
mögens da ist. Jn den Rechten aber und
insbesondere bey der Materie von der Zu-
rechnung einer freyen Handlung wird das
Wort Vernunft in einem engern Verstan-
de genommen und erkläret durch eine würck-

liche
A 2


Wir wollen derowegen die verſchiede-
nen Bedeutungen dieſes Wortes bemer-
cken, und genau beſtimmen, was fuͤr einen
Begrif wir in dieſer und jener Frage da-
mit verknuͤpfen wollen. Erſtlich bedeutet
das Wort Vernunft das Vermoͤgen, ſo in
einem Geiſte lieget, den Zuſammenhang
von Wahrheiten einzuſehen, es mag dieſes
Vermoͤgen ſich durch ſeine Wuͤrckungen
aͤuſſern oder gantz ſtill und in einem tiefen
Schlafe liegen. Jn dieſer Bedeutung
nehmen dieſes Wort diejenigen, welche den
Menſchen dadurch von dem Viehe unter-
ſcheiden, daß ſie ihn ein lebendiges Geſchoͤpf
nennen, ſo Vernunft hat. Diejenigen,
welche dieſe Beſchreibung von dem Men-
ſchen machen, faſſen in ſelbige ſaͤugende
Kinder und ſchlafende Perſonen, und ver-
ſtehen daher unter der Vernunft nichts an-
ders als das bloſſe Vermoͤgen einen Zu-
ſammenhang von Wahrheiten einzuſehen,
wenn auch gleich kein Gebrauch dieſes Ver-
moͤgens da iſt. Jn den Rechten aber und
insbeſondere bey der Materie von der Zu-
rechnung einer freyen Handlung wird das
Wort Vernunft in einem engern Verſtan-
de genommen und erklaͤret durch eine wuͤrck-

liche
A 2
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0021" n="3"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Wir wollen derowegen die ver&#x017F;chiede-<lb/>
nen Bedeutungen die&#x017F;es Wortes bemer-<lb/>
cken, und genau be&#x017F;timmen, was fu&#x0364;r einen<lb/>
Begrif wir in die&#x017F;er und jener Frage da-<lb/>
mit verknu&#x0364;pfen wollen. Er&#x017F;tlich bedeutet<lb/>
das Wort Vernunft das Vermo&#x0364;gen, &#x017F;o in<lb/>
einem Gei&#x017F;te lieget, den Zu&#x017F;ammenhang<lb/>
von Wahrheiten einzu&#x017F;ehen, es mag die&#x017F;es<lb/>
Vermo&#x0364;gen &#x017F;ich durch &#x017F;eine Wu&#x0364;rckungen<lb/>
a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern oder gantz &#x017F;till und in einem tiefen<lb/>
Schlafe liegen. Jn die&#x017F;er Bedeutung<lb/>
nehmen die&#x017F;es Wort diejenigen, welche den<lb/>
Men&#x017F;chen dadurch von dem Viehe unter-<lb/>
&#x017F;cheiden, daß &#x017F;ie ihn ein lebendiges Ge&#x017F;cho&#x0364;pf<lb/>
nennen, &#x017F;o Vernunft hat. Diejenigen,<lb/>
welche die&#x017F;e Be&#x017F;chreibung von dem Men-<lb/>
&#x017F;chen machen, fa&#x017F;&#x017F;en in &#x017F;elbige &#x017F;a&#x0364;ugende<lb/>
Kinder und &#x017F;chlafende Per&#x017F;onen, und ver-<lb/>
&#x017F;tehen daher unter der Vernunft nichts an-<lb/>
ders als das blo&#x017F;&#x017F;e Vermo&#x0364;gen einen Zu-<lb/>
&#x017F;ammenhang von Wahrheiten einzu&#x017F;ehen,<lb/>
wenn auch gleich kein Gebrauch die&#x017F;es Ver-<lb/>
mo&#x0364;gens da i&#x017F;t. Jn den Rechten aber und<lb/>
insbe&#x017F;ondere bey der Materie von der Zu-<lb/>
rechnung einer freyen Handlung wird das<lb/>
Wort Vernunft in einem engern Ver&#x017F;tan-<lb/>
de genommen und erkla&#x0364;ret durch eine wu&#x0364;rck-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 2</fw><fw place="bottom" type="catch">liche</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[3/0021] Wir wollen derowegen die verſchiede- nen Bedeutungen dieſes Wortes bemer- cken, und genau beſtimmen, was fuͤr einen Begrif wir in dieſer und jener Frage da- mit verknuͤpfen wollen. Erſtlich bedeutet das Wort Vernunft das Vermoͤgen, ſo in einem Geiſte lieget, den Zuſammenhang von Wahrheiten einzuſehen, es mag dieſes Vermoͤgen ſich durch ſeine Wuͤrckungen aͤuſſern oder gantz ſtill und in einem tiefen Schlafe liegen. Jn dieſer Bedeutung nehmen dieſes Wort diejenigen, welche den Menſchen dadurch von dem Viehe unter- ſcheiden, daß ſie ihn ein lebendiges Geſchoͤpf nennen, ſo Vernunft hat. Diejenigen, welche dieſe Beſchreibung von dem Men- ſchen machen, faſſen in ſelbige ſaͤugende Kinder und ſchlafende Perſonen, und ver- ſtehen daher unter der Vernunft nichts an- ders als das bloſſe Vermoͤgen einen Zu- ſammenhang von Wahrheiten einzuſehen, wenn auch gleich kein Gebrauch dieſes Ver- moͤgens da iſt. Jn den Rechten aber und insbeſondere bey der Materie von der Zu- rechnung einer freyen Handlung wird das Wort Vernunft in einem engern Verſtan- de genommen und erklaͤret durch eine wuͤrck- liche A 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/21
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/21>, abgerufen am 25.11.2024.