Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite





sehr starcken Appetit erreget; so habe sie
hernach ein Mägdlein zur Welt gebracht,
welches eine sehr grosse Begierde gehabt,
Haare in dem Mund zu käuen, und ha-
be dahero nicht nur seine eigene Haare,
sondern auch etlichemal Haasen-Bälge
gegessen. Es lässet sich dieses Exempel
eben, wie das vorige, aus den oben an-
gezeigten Gründen begreiflich machen.
Als die schwangere Mutter die Augen
mit einer grossen Begierde auf das rau-
he Ochsen-Maul gerichtet, so sind ihre
Gesichts-Nerven davon besonders ge-
rühret worden, und die Gesichts-Ner-
ven des Kindes sind nicht ohne ähnliche
Bewegung geblieben. (§. 14.) Hier-
durch ist der Seele des Kindes zu einer
Empfindung Anlaß gegeben worden,
welche derjenigen ähnlich gewesen, wel-
che ein würcklicher Anblick eines rauhen
Ochsen-Mauls verursachet. (§. 16.) Die
Mutter hat ein besonderes Vergnügen
über diesen Anblick empfunden und
eine grosse Begierde gehabt davon zu ko-
sten, was so angenehm aussähe, ja ihre
Einbildungskraft wird ihr den ange-
nehmen Geschmack eines solchen Bis-
gens recht lebhaft vorgestellet haben.
Hiermit sind in ihrem Cörper wiederum
gewisse Bewegungen der Nerven ver-
knüpft gewesen, deren der zarte Leib des

Kin-





ſehr ſtarcken Appetit erreget; ſo habe ſie
hernach ein Maͤgdlein zur Welt gebracht,
welches eine ſehr groſſe Begierde gehabt,
Haare in dem Mund zu kaͤuen, und ha-
be dahero nicht nur ſeine eigene Haare,
ſondern auch etlichemal Haaſen-Baͤlge
gegeſſen. Es laͤſſet ſich dieſes Exempel
eben, wie das vorige, aus den oben an-
gezeigten Gruͤnden begreiflich machen.
Als die ſchwangere Mutter die Augen
mit einer groſſen Begierde auf das rau-
he Ochſen-Maul gerichtet, ſo ſind ihre
Geſichts-Nerven davon beſonders ge-
ruͤhret worden, und die Geſichts-Ner-
ven des Kindes ſind nicht ohne aͤhnliche
Bewegung geblieben. (§. 14.) Hier-
durch iſt der Seele des Kindes zu einer
Empfindung Anlaß gegeben worden,
welche derjenigen aͤhnlich geweſen, wel-
che ein wuͤrcklicher Anblick eines rauhen
Ochſen-Mauls verurſachet. (§. 16.) Die
Mutter hat ein beſonderes Vergnuͤgen
uͤber dieſen Anblick empfunden und
eine groſſe Begierde gehabt davon zu ko-
ſten, was ſo angenehm ausſaͤhe, ja ihre
Einbildungskraft wird ihr den ange-
nehmen Geſchmack eines ſolchen Bis-
gens recht lebhaft vorgeſtellet haben.
Hiermit ſind in ihrem Coͤrper wiederum
gewiſſe Bewegungen der Nerven ver-
knuͤpft geweſen, deren der zarte Leib des

Kin-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0302" n="270[266]"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;tarcken Appetit erreget; &#x017F;o habe &#x017F;ie<lb/>
hernach ein Ma&#x0364;gdlein zur Welt gebracht,<lb/>
welches eine &#x017F;ehr gro&#x017F;&#x017F;e Begierde gehabt,<lb/>
Haare in dem Mund zu ka&#x0364;uen, und ha-<lb/>
be dahero nicht nur &#x017F;eine eigene Haare,<lb/>
&#x017F;ondern auch etlichemal Haa&#x017F;en-Ba&#x0364;lge<lb/>
gege&#x017F;&#x017F;en. Es la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich die&#x017F;es Exempel<lb/>
eben, wie das vorige, aus den oben an-<lb/>
gezeigten Gru&#x0364;nden begreiflich machen.<lb/>
Als die &#x017F;chwangere Mutter die Augen<lb/>
mit einer gro&#x017F;&#x017F;en Begierde auf das rau-<lb/>
he Och&#x017F;en-Maul gerichtet, &#x017F;o &#x017F;ind ihre<lb/>
Ge&#x017F;ichts-Nerven davon be&#x017F;onders ge-<lb/>
ru&#x0364;hret worden, und die Ge&#x017F;ichts-Ner-<lb/>
ven des Kindes &#x017F;ind nicht ohne a&#x0364;hnliche<lb/>
Bewegung geblieben. (§. 14.) Hier-<lb/>
durch i&#x017F;t der Seele des Kindes zu einer<lb/>
Empfindung Anlaß gegeben worden,<lb/>
welche derjenigen a&#x0364;hnlich gewe&#x017F;en, wel-<lb/>
che ein wu&#x0364;rcklicher Anblick eines rauhen<lb/>
Och&#x017F;en-Mauls verur&#x017F;achet. (§. 16.) Die<lb/>
Mutter hat ein be&#x017F;onderes Vergnu&#x0364;gen<lb/>
u&#x0364;ber die&#x017F;en Anblick empfunden und<lb/>
eine gro&#x017F;&#x017F;e Begierde gehabt davon zu ko-<lb/>
&#x017F;ten, was &#x017F;o angenehm aus&#x017F;a&#x0364;he, ja ihre<lb/>
Einbildungskraft wird ihr den ange-<lb/>
nehmen Ge&#x017F;chmack eines &#x017F;olchen Bis-<lb/>
gens recht lebhaft vorge&#x017F;tellet haben.<lb/>
Hiermit &#x017F;ind in ihrem Co&#x0364;rper wiederum<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e Bewegungen der Nerven ver-<lb/>
knu&#x0364;pft gewe&#x017F;en, deren der zarte Leib des<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Kin-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270[266]/0302] ſehr ſtarcken Appetit erreget; ſo habe ſie hernach ein Maͤgdlein zur Welt gebracht, welches eine ſehr groſſe Begierde gehabt, Haare in dem Mund zu kaͤuen, und ha- be dahero nicht nur ſeine eigene Haare, ſondern auch etlichemal Haaſen-Baͤlge gegeſſen. Es laͤſſet ſich dieſes Exempel eben, wie das vorige, aus den oben an- gezeigten Gruͤnden begreiflich machen. Als die ſchwangere Mutter die Augen mit einer groſſen Begierde auf das rau- he Ochſen-Maul gerichtet, ſo ſind ihre Geſichts-Nerven davon beſonders ge- ruͤhret worden, und die Geſichts-Ner- ven des Kindes ſind nicht ohne aͤhnliche Bewegung geblieben. (§. 14.) Hier- durch iſt der Seele des Kindes zu einer Empfindung Anlaß gegeben worden, welche derjenigen aͤhnlich geweſen, wel- che ein wuͤrcklicher Anblick eines rauhen Ochſen-Mauls verurſachet. (§. 16.) Die Mutter hat ein beſonderes Vergnuͤgen uͤber dieſen Anblick empfunden und eine groſſe Begierde gehabt davon zu ko- ſten, was ſo angenehm ausſaͤhe, ja ihre Einbildungskraft wird ihr den ange- nehmen Geſchmack eines ſolchen Bis- gens recht lebhaft vorgeſtellet haben. Hiermit ſind in ihrem Coͤrper wiederum gewiſſe Bewegungen der Nerven ver- knuͤpft geweſen, deren der zarte Leib des Kin-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/302
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741, S. 270[266]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/302>, abgerufen am 22.11.2024.