Mich hat sie ganz durchdrungen, und sich wie gelagert in mein Gebein. Mir ist, wie ei- nem Jünglinge, der so eben aus eines from- men Mädchens Auge sich die Seele voll Liebe und Hofnung getrunken hat; so froh, und zu- gleich so heimlich, im Busen.
Früh mit dem Morgen gieng es an. Ich erwachte von der ersten sanftesten Dämmerung, fand mich aufgerichtet, wie von dem Arme ei- nes Freundes, der mich zum unerwarteten Wiedersehen aus dem Schlummer küßte. Ich streckte meine Arme aus nach dem Liebens- würdigen; irrte ihm nach, und fand ihn, fand ihn -- schaffend am Aufgange. -- Wer an einer Musik für das Auge zweifelt, der hätte diese Morgenröthe sehen sollen. Ein solcher Engelsgesang schwebte mir nie auf Tönen in die Seele. Doch was weiß ich, mit welchen Sinnen ich empfand? Ich war ausser mir. Gleich im ersten Augenblicke, beym Erreichen der Gegenwart, überwan- delte michs, durchschauderte michs; dann tiefer
B 5
Mich hat ſie ganz durchdrungen, und ſich wie gelagert in mein Gebein. Mir iſt, wie ei- nem Juͤnglinge, der ſo eben aus eines from- men Maͤdchens Auge ſich die Seele voll Liebe und Hofnung getrunken hat; ſo froh, und zu- gleich ſo heimlich, im Buſen.
Fruͤh mit dem Morgen gieng es an. Ich erwachte von der erſten ſanfteſten Daͤmmerung, fand mich aufgerichtet, wie von dem Arme ei- nes Freundes, der mich zum unerwarteten Wiederſehen aus dem Schlummer kuͤßte. Ich ſtreckte meine Arme aus nach dem Liebens- wuͤrdigen; irrte ihm nach, und fand ihn, fand ihn — ſchaffend am Aufgange. — Wer an einer Muſik fuͤr das Auge zweifelt, der haͤtte dieſe Morgenroͤthe ſehen ſollen. Ein ſolcher Engelsgeſang ſchwebte mir nie auf Toͤnen in die Seele. Doch was weiß ich, mit welchen Sinnen ich empfand? Ich war auſſer mir. Gleich im erſten Augenblicke, beym Erreichen der Gegenwart, uͤberwan- delte michs, durchſchauderte michs; dann tiefer
B 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0063"n="25"/>
Mich hat ſie ganz durchdrungen, und ſich<lb/>
wie gelagert in mein Gebein. Mir iſt, wie ei-<lb/>
nem Juͤnglinge, der ſo eben aus eines from-<lb/>
men Maͤdchens Auge ſich die Seele voll Liebe<lb/>
und Hofnung getrunken hat; ſo froh, und zu-<lb/>
gleich ſo heimlich, im Buſen.</p><lb/><p>Fruͤh mit dem Morgen gieng es an. Ich<lb/>
erwachte von der erſten ſanfteſten Daͤmmerung,<lb/>
fand mich aufgerichtet, wie von dem Arme ei-<lb/>
nes Freundes, der mich zum unerwarteten<lb/>
Wiederſehen aus dem Schlummer kuͤßte. Ich<lb/>ſtreckte meine Arme aus nach dem Liebens-<lb/>
wuͤrdigen; irrte ihm nach, und fand ihn,<lb/>
fand ihn —ſchaffend am <hirendition="#g">Aufgange</hi>. — Wer<lb/>
an einer Muſik fuͤr das Auge zweifelt, der<lb/>
haͤtte dieſe Morgenroͤthe ſehen ſollen. Ein<lb/>ſolcher Engelsgeſang ſchwebte mir nie auf<lb/><hirendition="#g">Toͤnen</hi> in die Seele. Doch was weiß ich,<lb/>
mit welchen Sinnen ich empfand? Ich war<lb/>
auſſer mir. Gleich im erſten Augenblicke,<lb/>
beym Erreichen der <hirendition="#g">Gegenwart</hi>, uͤberwan-<lb/>
delte michs, durchſchauderte michs; dann tiefer<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B 5</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[25/0063]
Mich hat ſie ganz durchdrungen, und ſich
wie gelagert in mein Gebein. Mir iſt, wie ei-
nem Juͤnglinge, der ſo eben aus eines from-
men Maͤdchens Auge ſich die Seele voll Liebe
und Hofnung getrunken hat; ſo froh, und zu-
gleich ſo heimlich, im Buſen.
Fruͤh mit dem Morgen gieng es an. Ich
erwachte von der erſten ſanfteſten Daͤmmerung,
fand mich aufgerichtet, wie von dem Arme ei-
nes Freundes, der mich zum unerwarteten
Wiederſehen aus dem Schlummer kuͤßte. Ich
ſtreckte meine Arme aus nach dem Liebens-
wuͤrdigen; irrte ihm nach, und fand ihn,
fand ihn — ſchaffend am Aufgange. — Wer
an einer Muſik fuͤr das Auge zweifelt, der
haͤtte dieſe Morgenroͤthe ſehen ſollen. Ein
ſolcher Engelsgeſang ſchwebte mir nie auf
Toͤnen in die Seele. Doch was weiß ich,
mit welchen Sinnen ich empfand? Ich war
auſſer mir. Gleich im erſten Augenblicke,
beym Erreichen der Gegenwart, uͤberwan-
delte michs, durchſchauderte michs; dann tiefer
B 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/63>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.