Ich war heute lange vor Tag aus dem Bette. Ein sonderbar schönes Licht, das im- mer heller mich umgab, trieb mich aus mei- nem Cabinette in das Zimmer gegen Morgen, welches die weite Aussicht nach dem kleinen Gebirge hat. Ich fuhr zusammen über dem Anblick, und blieb unbeweglich am Eingange des Gemachs. Was mich fesselte, war die große Stille bey allem Glanze, bey allem Wer- den am weiten Himmel: unüberschauliche, unaufhörliche Verwandlungen; und doch kein sichtbarer Wechsel, keine Bewegung. Aber jetzt trat die Sonne näher, und fuhr auf ein- mahl hinter den Hügeln herauf, daß ich da- von mit in die Höhe fuhr. -- Clerdon, es wa- ren selige Augenblicke! Und siehe, wie dieser Sonnenaufgang, so war der ganze heutige Tag; Frühlings Anbeginn, Anbruch des Jah-
II. Sylli an Clerdon.
Den 7ten Maͤrz.
Ich war heute lange vor Tag aus dem Bette. Ein ſonderbar ſchoͤnes Licht, das im- mer heller mich umgab, trieb mich aus mei- nem Cabinette in das Zimmer gegen Morgen, welches die weite Ausſicht nach dem kleinen Gebirge hat. Ich fuhr zuſammen uͤber dem Anblick, und blieb unbeweglich am Eingange des Gemachs. Was mich feſſelte, war die große Stille bey allem Glanze, bey allem Wer- den am weiten Himmel: unuͤberſchauliche, unaufhoͤrliche Verwandlungen; und doch kein ſichtbarer Wechſel, keine Bewegung. Aber jetzt trat die Sonne naͤher, und fuhr auf ein- mahl hinter den Huͤgeln herauf, daß ich da- von mit in die Hoͤhe fuhr. — Clerdon, es wa- ren ſelige Augenblicke! Und ſiehe, wie dieſer Sonnenaufgang, ſo war der ganze heutige Tag; Fruͤhlings Anbeginn, Anbruch des Jah-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0044"n="6"/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">II.</hi><lb/>
Sylli an Clerdon.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#et">Den 7ten Maͤrz.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">I</hi>ch war heute lange vor Tag aus dem<lb/>
Bette. Ein ſonderbar ſchoͤnes Licht, das im-<lb/>
mer heller mich umgab, trieb mich aus mei-<lb/>
nem Cabinette in das Zimmer gegen Morgen,<lb/>
welches die weite Ausſicht nach dem kleinen<lb/>
Gebirge hat. Ich fuhr zuſammen uͤber dem<lb/>
Anblick, und blieb unbeweglich am Eingange<lb/>
des Gemachs. Was mich feſſelte, war die<lb/>
große Stille bey allem <choice><sic>Glauze</sic><corr>Glanze</corr></choice>, bey allem Wer-<lb/>
den am weiten Himmel: unuͤberſchauliche,<lb/>
unaufhoͤrliche Verwandlungen; und doch kein<lb/>ſichtbarer Wechſel, keine Bewegung. Aber<lb/>
jetzt trat die Sonne naͤher, und fuhr auf ein-<lb/>
mahl hinter den Huͤgeln herauf, daß ich da-<lb/>
von mit in die Hoͤhe fuhr. — Clerdon, es wa-<lb/>
ren ſelige Augenblicke! Und ſiehe, wie dieſer<lb/>
Sonnenaufgang, ſo war der ganze heutige<lb/>
Tag; Fruͤhlings Anbeginn, Anbruch des Jah-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[6/0044]
II.
Sylli an Clerdon.
Den 7ten Maͤrz.
Ich war heute lange vor Tag aus dem
Bette. Ein ſonderbar ſchoͤnes Licht, das im-
mer heller mich umgab, trieb mich aus mei-
nem Cabinette in das Zimmer gegen Morgen,
welches die weite Ausſicht nach dem kleinen
Gebirge hat. Ich fuhr zuſammen uͤber dem
Anblick, und blieb unbeweglich am Eingange
des Gemachs. Was mich feſſelte, war die
große Stille bey allem Glanze, bey allem Wer-
den am weiten Himmel: unuͤberſchauliche,
unaufhoͤrliche Verwandlungen; und doch kein
ſichtbarer Wechſel, keine Bewegung. Aber
jetzt trat die Sonne naͤher, und fuhr auf ein-
mahl hinter den Huͤgeln herauf, daß ich da-
von mit in die Hoͤhe fuhr. — Clerdon, es wa-
ren ſelige Augenblicke! Und ſiehe, wie dieſer
Sonnenaufgang, ſo war der ganze heutige
Tag; Fruͤhlings Anbeginn, Anbruch des Jah-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/44>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.