Ja, mein Freund, noch alle Tage wird es öder um mich her; und so setzt sich denn die sonderbare Gemüthsstimmung, die Du an mir tadelst, und wofür Du keinen Namen weißt, immer fester. Ich soll es Dir nennen, was weder Milzsucht, Trübsinn, Menschenhaß oder Menschenverachtung, noch sonst etwas ist, wo- zu sich aus Romanen oder Schauspielen eine Deutung holen ließe; was aber mein Herz zu- gleich so warm und so kalt macht, meine Seele so offen und so zugeschlossen. Lieber Clerdon, vielleicht ein andermal; diesmal höre, was sich gestern zutrug.
A
I. Sylli an Clerdon.
Den 6ten Maͤrz.
Ja, mein Freund, noch alle Tage wird es oͤder um mich her; und ſo ſetzt ſich denn die ſonderbare Gemuͤthsſtimmung, die Du an mir tadelſt, und wofuͤr Du keinen Namen weißt, immer feſter. Ich ſoll es Dir nennen, was weder Milzſucht, Truͤbſinn, Menſchenhaß oder Menſchenverachtung, noch ſonſt etwas iſt, wo- zu ſich aus Romanen oder Schauſpielen eine Deutung holen ließe; was aber mein Herz zu- gleich ſo warm und ſo kalt macht, meine Seele ſo offen und ſo zugeſchloſſen. Lieber Clerdon, vielleicht ein andermal; diesmal hoͤre, was ſich geſtern zutrug.
A
<TEI><text><body><pbfacs="#f0039"n="[1]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="1"><head></head><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I.</hi><lb/>
Sylli an Clerdon.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#et">Den 6ten Maͤrz.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">J</hi>a, mein Freund, noch alle Tage wird es<lb/>
oͤder um mich her; und ſo ſetzt ſich denn die<lb/>ſonderbare Gemuͤthsſtimmung, die Du an mir<lb/>
tadelſt, und wofuͤr Du keinen Namen weißt,<lb/>
immer feſter. Ich ſoll es Dir nennen, was<lb/>
weder Milzſucht, Truͤbſinn, Menſchenhaß oder<lb/>
Menſchenverachtung, noch ſonſt etwas iſt, wo-<lb/>
zu ſich aus Romanen oder Schauſpielen eine<lb/>
Deutung holen ließe; was aber mein Herz zu-<lb/>
gleich ſo warm und ſo kalt macht, meine Seele<lb/>ſo offen und ſo zugeſchloſſen. Lieber Clerdon,<lb/>
vielleicht ein andermal; diesmal hoͤre, was<lb/>ſich geſtern zutrug.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">A</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[[1]/0039]
I.
Sylli an Clerdon.
Den 6ten Maͤrz.
Ja, mein Freund, noch alle Tage wird es
oͤder um mich her; und ſo ſetzt ſich denn die
ſonderbare Gemuͤthsſtimmung, die Du an mir
tadelſt, und wofuͤr Du keinen Namen weißt,
immer feſter. Ich ſoll es Dir nennen, was
weder Milzſucht, Truͤbſinn, Menſchenhaß oder
Menſchenverachtung, noch ſonſt etwas iſt, wo-
zu ſich aus Romanen oder Schauſpielen eine
Deutung holen ließe; was aber mein Herz zu-
gleich ſo warm und ſo kalt macht, meine Seele
ſo offen und ſo zugeſchloſſen. Lieber Clerdon,
vielleicht ein andermal; diesmal hoͤre, was
ſich geſtern zutrug.
A
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/39>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.