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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

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Aber es kam eine Stunde, da fühlte
ich, daß ich wohl einst Dich würde verach-
ten müssen. Es ergriff mich ein tiefes
Schrecken, und ich entfloh. Ich war ent-
flohen, und kam zurück mit verhülltem Ange-
sicht. Alle meine Liebe zu Dir hatte sich in
heisse Sorge um Dich verwandelt. Verbor-
gen kam ich zurück mit aller meiner Liebe,
um Dich nie zu lassen.

Ich sey von Schwärmerey; ich sey an
der Einbildung gestorben, wird es heissen. --
Nun ja! -- Wenn nur Du auf mein Grab
kommst, Eduard, mit dem Mädchen, das ich
Dir rief, mit dem Mädchen, das Dein Wesen
erneuern, zu jeder Freude der Menschheit
Deine Sinne wieder rein stimmen soll!
Dann wirst Du immer nur Eins, das Köst-
lichste
, wollen; aneckeln alles andere, wirst
dies Köstlichste, liebste, mit Deiner gan-
zen Kraft geniessen, und darum jeden Genuß
des ähnlichen Geringern für Verlust achten.

Aber es kam eine Stunde, da fuͤhlte
ich, daß ich wohl einſt Dich wuͤrde verach-
ten muͤſſen. Es ergriff mich ein tiefes
Schrecken, und ich entfloh. Ich war ent-
flohen, und kam zuruͤck mit verhuͤlltem Ange-
ſicht. Alle meine Liebe zu Dir hatte ſich in
heiſſe Sorge um Dich verwandelt. Verbor-
gen kam ich zuruͤck mit aller meiner Liebe,
um Dich nie zu laſſen.

Ich ſey von Schwaͤrmerey; ich ſey an
der Einbildung geſtorben, wird es heiſſen. —
Nun ja! — Wenn nur Du auf mein Grab
kommſt, Eduard, mit dem Maͤdchen, das ich
Dir rief, mit dem Maͤdchen, das Dein Weſen
erneuern, zu jeder Freude der Menſchheit
Deine Sinne wieder rein ſtimmen ſoll!
Dann wirſt Du immer nur Eins, das Koͤſt-
lichſte
, wollen; aneckeln alles andere, wirſt
dies Koͤſtlichſte, liebſte, mit Deiner gan-
zen Kraft genieſſen, und darum jeden Genuß
des aͤhnlichen Geringern fuͤr Verluſt achten.

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[278/0316] Aber es kam eine Stunde, da fuͤhlte ich, daß ich wohl einſt Dich wuͤrde verach- ten muͤſſen. Es ergriff mich ein tiefes Schrecken, und ich entfloh. Ich war ent- flohen, und kam zuruͤck mit verhuͤlltem Ange- ſicht. Alle meine Liebe zu Dir hatte ſich in heiſſe Sorge um Dich verwandelt. Verbor- gen kam ich zuruͤck mit aller meiner Liebe, um Dich nie zu laſſen. Ich ſey von Schwaͤrmerey; ich ſey an der Einbildung geſtorben, wird es heiſſen. — Nun ja! — Wenn nur Du auf mein Grab kommſt, Eduard, mit dem Maͤdchen, das ich Dir rief, mit dem Maͤdchen, das Dein Weſen erneuern, zu jeder Freude der Menſchheit Deine Sinne wieder rein ſtimmen ſoll! Dann wirſt Du immer nur Eins, das Koͤſt- lichſte, wollen; aneckeln alles andere, wirſt dies Koͤſtlichſte, liebſte, mit Deiner gan- zen Kraft genieſſen, und darum jeden Genuß des aͤhnlichen Geringern fuͤr Verluſt achten.

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Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/316>, abgerufen am 24.11.2024.