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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

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Schmucke, an die Stelle der alten Weisheit
zu setzen trachten; und das gewiß nicht auf
Anrathen Ihres Herzens, das groß und
edel ist; sondern Ihrer Sinnlichkeit zu
Liebe, welche Sie, unter dem Worte Em-
pfindung
, so gern mit Ihrem Herzen in
Eins mischen, wie wohl auch jeder andere
Mensch mehr oder weniger thut, und nicht an-
ders kann. Sinnesfreude ist die Lichtwolke,
worauf alles Göttliche vom Himmel zu uns
hernieder steigt; aber Dunst aus Moor und
Grüften ist keine Wolke vom Himmel, obschon
er die Hügel hinan schleicht, und Sonnen-
licht haschet.

Aber Sie können das nicht unterscheiden!
Doch unterscheiden Sie übrigens so scharf, em-
pfinden so reinweg alles Schöne! -- Freylich;
aber auch alles Schöne so lebhaft, daß je-
der Eindruck davon Sie berauscht, Ihnen für
die Zeit alle weitere Besinnung raubt. Nur
ein Tropfen Nektar an des Bechers Ran-
de, und Sie verschlingen, ohne es zu merken,
das abscheulichste Getränk.

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Schmucke, an die Stelle der alten Weisheit
zu ſetzen trachten; und das gewiß nicht auf
Anrathen Ihres Herzens, das groß und
edel iſt; ſondern Ihrer Sinnlichkeit zu
Liebe, welche Sie, unter dem Worte Em-
pfindung
, ſo gern mit Ihrem Herzen in
Eins miſchen, wie wohl auch jeder andere
Menſch mehr oder weniger thut, und nicht an-
ders kann. Sinnesfreude iſt die Lichtwolke,
worauf alles Goͤttliche vom Himmel zu uns
hernieder ſteigt; aber Dunſt aus Moor und
Gruͤften iſt keine Wolke vom Himmel, obſchon
er die Huͤgel hinan ſchleicht, und Sonnen-
licht haſchet.

Aber Sie koͤnnen das nicht unterſcheiden!
Doch unterſcheiden Sie uͤbrigens ſo ſcharf, em-
pfinden ſo reinweg alles Schoͤne! — Freylich;
aber auch alles Schoͤne ſo lebhaft, daß je-
der Eindruck davon Sie berauſcht, Ihnen fuͤr
die Zeit alle weitere Beſinnung raubt. Nur
ein Tropfen Nektar an des Bechers Ran-
de, und Sie verſchlingen, ohne es zu merken,
das abſcheulichſte Getraͤnk.

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[259/0297] Schmucke, an die Stelle der alten Weisheit zu ſetzen trachten; und das gewiß nicht auf Anrathen Ihres Herzens, das groß und edel iſt; ſondern Ihrer Sinnlichkeit zu Liebe, welche Sie, unter dem Worte Em- pfindung, ſo gern mit Ihrem Herzen in Eins miſchen, wie wohl auch jeder andere Menſch mehr oder weniger thut, und nicht an- ders kann. Sinnesfreude iſt die Lichtwolke, worauf alles Goͤttliche vom Himmel zu uns hernieder ſteigt; aber Dunſt aus Moor und Gruͤften iſt keine Wolke vom Himmel, obſchon er die Huͤgel hinan ſchleicht, und Sonnen- licht haſchet. Aber Sie koͤnnen das nicht unterſcheiden! Doch unterſcheiden Sie uͤbrigens ſo ſcharf, em- pfinden ſo reinweg alles Schoͤne! — Freylich; aber auch alles Schoͤne ſo lebhaft, daß je- der Eindruck davon Sie berauſcht, Ihnen fuͤr die Zeit alle weitere Beſinnung raubt. Nur ein Tropfen Nektar an des Bechers Ran- de, und Sie verſchlingen, ohne es zu merken, das abſcheulichſte Getraͤnk. R 2

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Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/297>, abgerufen am 25.11.2024.