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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

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bilden? Was ist zuverläßiger, als das Herz
des edel gebornen? -- -- Nimm alle
Moralen, alle Philosophieen des Lebens zusam-
men, und versuche streng nach ihren Vorschrif-
ten zu wandeln: wenn du wahres Gefühl von
Schönheit und Vortreflichkeit hast, auf wie
viele Ausnahmen wirst du stoßen? Willst du
nun, aus Furcht zu verirren, keine solche Aus-
nahme gelten lassen: wie muß da nicht endlich
dein Herz und Verstand sich verstocken, dein
Geist zu jedem freyen Bestreben unfähig wer-
den?

Nehmen wir auch einen einzelnen Menschen,
den gefühlvollesten, stärksten; und lassen wir
ihn, nach gemachten unzähligen Erfahrungen,
blos für seine Person, mit dem freyesten
Muthe, eine Philosophie des Lebens entwer-
fen: er wird in der Folge doch wieder auf
Ausnahmen stoßen; und fürchtet er sich, diese
gelten zu lassen, so wird er nach und nach zu
einer Art Maschine, wiewohl zu einer vor-
züglicheren als jener andre, der sich im Ra-

bilden? Was iſt zuverlaͤßiger, als das Herz
des edel gebornen? — — Nimm alle
Moralen, alle Philoſophieen des Lebens zuſam-
men, und verſuche ſtreng nach ihren Vorſchrif-
ten zu wandeln: wenn du wahres Gefuͤhl von
Schoͤnheit und Vortreflichkeit haſt, auf wie
viele Ausnahmen wirſt du ſtoßen? Willſt du
nun, aus Furcht zu verirren, keine ſolche Aus-
nahme gelten laſſen: wie muß da nicht endlich
dein Herz und Verſtand ſich verſtocken, dein
Geiſt zu jedem freyen Beſtreben unfaͤhig wer-
den?

Nehmen wir auch einen einzelnen Menſchen,
den gefuͤhlvolleſten, ſtaͤrkſten; und laſſen wir
ihn, nach gemachten unzaͤhligen Erfahrungen,
blos fuͤr ſeine Perſon, mit dem freyeſten
Muthe, eine Philoſophie des Lebens entwer-
fen: er wird in der Folge doch wieder auf
Ausnahmen ſtoßen; und fuͤrchtet er ſich, dieſe
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einer Art Maſchine, wiewohl zu einer vor-
zuͤglicheren als jener andre, der ſich im Ra-

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[234/0272] bilden? Was iſt zuverlaͤßiger, als das Herz des edel gebornen? — — Nimm alle Moralen, alle Philoſophieen des Lebens zuſam- men, und verſuche ſtreng nach ihren Vorſchrif- ten zu wandeln: wenn du wahres Gefuͤhl von Schoͤnheit und Vortreflichkeit haſt, auf wie viele Ausnahmen wirſt du ſtoßen? Willſt du nun, aus Furcht zu verirren, keine ſolche Aus- nahme gelten laſſen: wie muß da nicht endlich dein Herz und Verſtand ſich verſtocken, dein Geiſt zu jedem freyen Beſtreben unfaͤhig wer- den? Nehmen wir auch einen einzelnen Menſchen, den gefuͤhlvolleſten, ſtaͤrkſten; und laſſen wir ihn, nach gemachten unzaͤhligen Erfahrungen, blos fuͤr ſeine Perſon, mit dem freyeſten Muthe, eine Philoſophie des Lebens entwer- fen: er wird in der Folge doch wieder auf Ausnahmen ſtoßen; und fuͤrchtet er ſich, dieſe gelten zu laſſen, ſo wird er nach und nach zu einer Art Maſchine, wiewohl zu einer vor- zuͤglicheren als jener andre, der ſich im Ra-

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Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/272>, abgerufen am 24.11.2024.