was ich empfand; wurde früh genug mit Strenge angewiesen, wie ich etwas schön und gut, und nur dies Etwas so finden müsse; gefüllt bis oben an mit erkünsteltem, erzwungenem Glauben; verwirrt in meinem ganzen Wesen durch gewaltsame Verknüpfung unzusammenhangender Ideen; hingewiesen, hin- gestoßen zu einer durchaus schiefen, ganz erlo- genen Existenz.
Dennoch behielt wahres Leben in mir die Oberhand. Mich rettete mein eigenes Herz. Darum will ich ferner ihm gehorchen, und mein Ohr nach seiner Stimme neigen. Diese zu ver- nehmen, zu unterscheiden, zu verstehen, sey mir Weisheit; ihr muthig zu folgen, Tugend!
Schreye nicht über Gefahr, liebe Luzie! Was geht uns das an, wenn der Ruchlose vorgiebt, er thue eben das, und dabey immer ruchloser wird. Jedes Wesen ersprießt in sei- ner eigenen Natur: wird nicht auch die schöne Seele, aus ihrem Keim, sich immer schöner
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was ich empfand; wurde fruͤh genug mit Strenge angewieſen, wie ich etwas ſchoͤn und gut, und nur dies Etwas ſo finden muͤſſe; gefuͤllt bis oben an mit erkuͤnſteltem, erzwungenem Glauben; verwirrt in meinem ganzen Weſen durch gewaltſame Verknuͤpfung unzuſammenhangender Ideen; hingewieſen, hin- geſtoßen zu einer durchaus ſchiefen, ganz erlo- genen Exiſtenz.
Dennoch behielt wahres Leben in mir die Oberhand. Mich rettete mein eigenes Herz. Darum will ich ferner ihm gehorchen, und mein Ohr nach ſeiner Stimme neigen. Dieſe zu ver- nehmen, zu unterſcheiden, zu verſtehen, ſey mir Weisheit; ihr muthig zu folgen, Tugend!
Schreye nicht uͤber Gefahr, liebe Luzie! Was geht uns das an, wenn der Ruchloſe vorgiebt, er thue eben das, und dabey immer ruchloſer wird. Jedes Weſen erſprießt in ſei- ner eigenen Natur: wird nicht auch die ſchoͤne Seele, aus ihrem Keim, ſich immer ſchoͤner
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was ich empfand; wurde fruͤh genug mit
Strenge angewieſen, wie ich etwas ſchoͤn
und gut, und nur dies Etwas ſo finden
muͤſſe; gefuͤllt bis oben an mit erkuͤnſteltem,
erzwungenem Glauben; verwirrt in meinem
ganzen Weſen durch gewaltſame Verknuͤpfung
unzuſammenhangender Ideen; hingewieſen, hin-
geſtoßen zu einer durchaus ſchiefen, ganz erlo-
genen Exiſtenz.
Dennoch behielt wahres Leben in mir die
Oberhand. Mich rettete mein eigenes Herz.
Darum will ich ferner ihm gehorchen, und mein
Ohr nach ſeiner Stimme neigen. Dieſe zu ver-
nehmen, zu unterſcheiden, zu verſtehen, ſey
mir Weisheit; ihr muthig zu folgen, Tugend!
Schreye nicht uͤber Gefahr, liebe Luzie!
Was geht uns das an, wenn der Ruchloſe
vorgiebt, er thue eben das, und dabey immer
ruchloſer wird. Jedes Weſen erſprießt in ſei-
ner eigenen Natur: wird nicht auch die ſchoͤne
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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/271>, abgerufen am 24.11.2024.
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