Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

Der alte Unhold war mir lange nicht vor
Augen gekommen; ich erschrack vor seiner
Gestalt, die seitdem noch um vieles widriger
geworden ist. Denkt nur, der Mensch mach-
te mir Vorwürfe, und zuletzt, nach einigem
hin und wieder reden, fieng er gar an zu
weinen. Ach! daß Augen wie die seinigen --
daß alle Augen Thränen haben! Einem
Gierigstein, wenn er weinen wollte, müß-
te, statt der Thränen, etwas aus den Augen
kommen, was man wie Staubflocken von
sich abschütteln könnte; denn Thränen rüh-
ren einen doch immer, betriegen einen. An
diesem Gierigstein ist es mir zum Schre-
cken aufgefallen, was für eine Gestalt zum
Vorschein kommt, wenn einem verkehrten
Menschen das Alter die Maske wegdorret,
Fleisch und Farbe seine Züge nicht mehr ver-
hüllen. Da zeigt sich die abgehärtete Nerve.
Erstarrt im Häßlichen liegt sie da zur gräß-
lichen Schau: da bebt der nackende Mund,
der kalte, unholde; da zittert das trübe Au-
ge, dessen Blick, nicht mehr lenksam, harren

muß

Der alte Unhold war mir lange nicht vor
Augen gekommen; ich erſchrack vor ſeiner
Geſtalt, die ſeitdem noch um vieles widriger
geworden iſt. Denkt nur, der Menſch mach-
te mir Vorwuͤrfe, und zuletzt, nach einigem
hin und wieder reden, fieng er gar an zu
weinen. Ach! daß Augen wie die ſeinigen —
daß alle Augen Thraͤnen haben! Einem
Gierigſtein, wenn er weinen wollte, muͤß-
te, ſtatt der Thraͤnen, etwas aus den Augen
kommen, was man wie Staubflocken von
ſich abſchuͤtteln koͤnnte; denn Thraͤnen ruͤh-
ren einen doch immer, betriegen einen. An
dieſem Gierigſtein iſt es mir zum Schre-
cken aufgefallen, was fuͤr eine Geſtalt zum
Vorſchein kommt, wenn einem verkehrten
Menſchen das Alter die Maske wegdorret,
Fleiſch und Farbe ſeine Zuͤge nicht mehr ver-
huͤllen. Da zeigt ſich die abgehaͤrtete Nerve.
Erſtarrt im Haͤßlichen liegt ſie da zur graͤß-
lichen Schau: da bebt der nackende Mund,
der kalte, unholde; da zittert das truͤbe Au-
ge, deſſen Blick, nicht mehr lenkſam, harren

muß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0150" n="112"/>
Der alte Unhold war mir lange nicht vor<lb/>
Augen gekommen; ich er&#x017F;chrack vor &#x017F;einer<lb/>
Ge&#x017F;talt, die &#x017F;eitdem noch um vieles widriger<lb/>
geworden i&#x017F;t. Denkt nur, der Men&#x017F;ch mach-<lb/>
te mir Vorwu&#x0364;rfe, und zuletzt, nach einigem<lb/>
hin und wieder reden, fieng er gar an zu<lb/>
weinen. Ach! daß Augen wie die &#x017F;einigen &#x2014;<lb/>
daß alle Augen Thra&#x0364;nen haben! Einem<lb/><hi rendition="#g">Gierig&#x017F;tein</hi>, wenn er weinen wollte, mu&#x0364;ß-<lb/>
te, &#x017F;tatt der Thra&#x0364;nen, etwas aus den Augen<lb/>
kommen, was man wie Staubflocken von<lb/>
&#x017F;ich ab&#x017F;chu&#x0364;tteln ko&#x0364;nnte; denn <hi rendition="#g">Thra&#x0364;nen</hi> ru&#x0364;h-<lb/>
ren einen doch immer, betriegen einen. An<lb/>
die&#x017F;em <hi rendition="#g">Gierig&#x017F;tein</hi> i&#x017F;t es mir zum Schre-<lb/>
cken aufgefallen, was fu&#x0364;r eine Ge&#x017F;talt zum<lb/>
Vor&#x017F;chein kommt, wenn einem verkehrten<lb/>
Men&#x017F;chen das Alter die <hi rendition="#g">Maske</hi> wegdorret,<lb/>
Flei&#x017F;ch und Farbe &#x017F;eine Zu&#x0364;ge nicht mehr ver-<lb/>
hu&#x0364;llen. Da zeigt &#x017F;ich die abgeha&#x0364;rtete Nerve.<lb/>
Er&#x017F;tarrt im Ha&#x0364;ßlichen liegt &#x017F;ie da zur gra&#x0364;ß-<lb/>
lichen Schau: da bebt der nackende Mund,<lb/>
der kalte, unholde; da zittert das tru&#x0364;be Au-<lb/>
ge, de&#x017F;&#x017F;en Blick, nicht mehr lenk&#x017F;am, harren<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">muß</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0150] Der alte Unhold war mir lange nicht vor Augen gekommen; ich erſchrack vor ſeiner Geſtalt, die ſeitdem noch um vieles widriger geworden iſt. Denkt nur, der Menſch mach- te mir Vorwuͤrfe, und zuletzt, nach einigem hin und wieder reden, fieng er gar an zu weinen. Ach! daß Augen wie die ſeinigen — daß alle Augen Thraͤnen haben! Einem Gierigſtein, wenn er weinen wollte, muͤß- te, ſtatt der Thraͤnen, etwas aus den Augen kommen, was man wie Staubflocken von ſich abſchuͤtteln koͤnnte; denn Thraͤnen ruͤh- ren einen doch immer, betriegen einen. An dieſem Gierigſtein iſt es mir zum Schre- cken aufgefallen, was fuͤr eine Geſtalt zum Vorſchein kommt, wenn einem verkehrten Menſchen das Alter die Maske wegdorret, Fleiſch und Farbe ſeine Zuͤge nicht mehr ver- huͤllen. Da zeigt ſich die abgehaͤrtete Nerve. Erſtarrt im Haͤßlichen liegt ſie da zur graͤß- lichen Schau: da bebt der nackende Mund, der kalte, unholde; da zittert das truͤbe Au- ge, deſſen Blick, nicht mehr lenkſam, harren muß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/150
Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/150>, abgerufen am 24.11.2024.