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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

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gestalt ihren schönen Kranz von rothen, gelben und
blauen Astern in seinen Schooß. Und dann setzte
sie sich ihm gegenüber in einen Sessel und sah
ihn, die Hände über der Brust gekreuzt, lange an.

Nachdem sie so lange stumm gesessen, wendete
sie ihr Antlitz. Der Alte stand ihr zur Seite und
empfing ihren ersten Blick. Von diesem Blicke er-
schüttert, sank er leise auf das Knie und küßte
ihre Hand.

Die Gnostiker erzählen, daß die Engel einst
eine unaussprechlich schöne Gestalt flüchtig an sich
vorüber schweben sahen, die sie nachmals nie wieder
erblickten, obgleich sie Aeonen lang mit heißer Sehn-
sucht einer zweiten Erscheinung harrten. Sie schufen
dann endlich, sagen die Gnostiker, in Nacherinne-
rung an die Geschaute, ein schwaches Abbild jenes
himmlischen Urbildes. Dieses Abbild war der
Mensch. Es kann seyn, daß in Lisbeth's Zügen
etwas von dem Ausdrucke der den Engeln einst
erschienenen Schönheit schimmerte. Der Alte stam-
melte flüsternd: O liebe, liebe, junge gnädige
Gräfin.

Lisbeth erröthete. Warum nennst du mich
immer schon so? fragte sie leise.


Immermann's Münchhausen. 4. Th. 14

geſtalt ihren ſchönen Kranz von rothen, gelben und
blauen Aſtern in ſeinen Schooß. Und dann ſetzte
ſie ſich ihm gegenüber in einen Seſſel und ſah
ihn, die Hände über der Bruſt gekreuzt, lange an.

Nachdem ſie ſo lange ſtumm geſeſſen, wendete
ſie ihr Antlitz. Der Alte ſtand ihr zur Seite und
empfing ihren erſten Blick. Von dieſem Blicke er-
ſchüttert, ſank er leiſe auf das Knie und küßte
ihre Hand.

Die Gnoſtiker erzählen, daß die Engel einſt
eine unausſprechlich ſchöne Geſtalt flüchtig an ſich
vorüber ſchweben ſahen, die ſie nachmals nie wieder
erblickten, obgleich ſie Aeonen lang mit heißer Sehn-
ſucht einer zweiten Erſcheinung harrten. Sie ſchufen
dann endlich, ſagen die Gnoſtiker, in Nacherinne-
rung an die Geſchaute, ein ſchwaches Abbild jenes
himmliſchen Urbildes. Dieſes Abbild war der
Menſch. Es kann ſeyn, daß in Lisbeth’s Zügen
etwas von dem Ausdrucke der den Engeln einſt
erſchienenen Schönheit ſchimmerte. Der Alte ſtam-
melte flüſternd: O liebe, liebe, junge gnädige
Gräfin.

Lisbeth erröthete. Warum nennſt du mich
immer ſchon ſo? fragte ſie leiſe.


Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 14
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[209/0221] geſtalt ihren ſchönen Kranz von rothen, gelben und blauen Aſtern in ſeinen Schooß. Und dann ſetzte ſie ſich ihm gegenüber in einen Seſſel und ſah ihn, die Hände über der Bruſt gekreuzt, lange an. Nachdem ſie ſo lange ſtumm geſeſſen, wendete ſie ihr Antlitz. Der Alte ſtand ihr zur Seite und empfing ihren erſten Blick. Von dieſem Blicke er- ſchüttert, ſank er leiſe auf das Knie und küßte ihre Hand. Die Gnoſtiker erzählen, daß die Engel einſt eine unausſprechlich ſchöne Geſtalt flüchtig an ſich vorüber ſchweben ſahen, die ſie nachmals nie wieder erblickten, obgleich ſie Aeonen lang mit heißer Sehn- ſucht einer zweiten Erſcheinung harrten. Sie ſchufen dann endlich, ſagen die Gnoſtiker, in Nacherinne- rung an die Geſchaute, ein ſchwaches Abbild jenes himmliſchen Urbildes. Dieſes Abbild war der Menſch. Es kann ſeyn, daß in Lisbeth’s Zügen etwas von dem Ausdrucke der den Engeln einſt erſchienenen Schönheit ſchimmerte. Der Alte ſtam- melte flüſternd: O liebe, liebe, junge gnädige Gräfin. Lisbeth erröthete. Warum nennſt du mich immer ſchon ſo? fragte ſie leiſe. Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 14

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/221>, abgerufen am 27.11.2024.