beiden Herren hat ihn etwas matt gemacht. Kom- men's nur herein!
Kaum den Boden mit ihren Fußsohlen berüh- rend schritt Lisbeth durch das Krankenzimmer. Im Lehnstuhle saß Oswald und schlief. Sein Antlitz war so weiß wie Marmor, er sah vornehmer und prächtiger aus als je. Die schöne Stirn zeigte noch klarer als sonst die lichten, innigen Gedanken, welche hinter ihrer Wölbung wohnten. Leicht ge- röthet waren die vollen, gutmüthigen Lippen, und um sie und um die reinen Wangen schwebte das friedlichste Lächeln. Er träumte vielleicht, und mochte wohl von seiner Liebe träumen. So saß er da, ein reizendes, hohes Jünglingsbild; eine Mischung von siegfreudigem Apoll und schwärmen- dem gefühlstrunkenem Bacchus, noch nie so klar in dieser seiner Grundform ausgeprägt, als heute, wo die geschlossenen Wimpern allen Zügen etwas Festes und Ewiges gaben.
Lisbeth näherte sich dem Schlafenden und beugte sich über sein Haupt. Aber sie rührte ihn nicht an und ließ kaum ihren Athem um seine Wangen spielen, um ihn nicht aufzuwecken. Dann legte sie leicht und leise wie eine beschenkende Himmels-
beiden Herren hat ihn etwas matt gemacht. Kom- men’s nur herein!
Kaum den Boden mit ihren Fußſohlen berüh- rend ſchritt Lisbeth durch das Krankenzimmer. Im Lehnſtuhle ſaß Oswald und ſchlief. Sein Antlitz war ſo weiß wie Marmor, er ſah vornehmer und prächtiger aus als je. Die ſchöne Stirn zeigte noch klarer als ſonſt die lichten, innigen Gedanken, welche hinter ihrer Wölbung wohnten. Leicht ge- röthet waren die vollen, gutmüthigen Lippen, und um ſie und um die reinen Wangen ſchwebte das friedlichſte Lächeln. Er träumte vielleicht, und mochte wohl von ſeiner Liebe träumen. So ſaß er da, ein reizendes, hohes Jünglingsbild; eine Miſchung von ſiegfreudigem Apoll und ſchwärmen- dem gefühlstrunkenem Bacchus, noch nie ſo klar in dieſer ſeiner Grundform ausgeprägt, als heute, wo die geſchloſſenen Wimpern allen Zügen etwas Feſtes und Ewiges gaben.
Lisbeth näherte ſich dem Schlafenden und beugte ſich über ſein Haupt. Aber ſie rührte ihn nicht an und ließ kaum ihren Athem um ſeine Wangen ſpielen, um ihn nicht aufzuwecken. Dann legte ſie leicht und leiſe wie eine beſchenkende Himmels-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0220"n="208"/>
beiden Herren hat ihn etwas matt gemacht. Kom-<lb/>
men’s nur herein!</p><lb/><p>Kaum den Boden mit ihren Fußſohlen berüh-<lb/>
rend ſchritt Lisbeth durch das Krankenzimmer. Im<lb/>
Lehnſtuhle ſaß Oswald und ſchlief. Sein Antlitz<lb/>
war ſo weiß wie Marmor, er ſah vornehmer und<lb/>
prächtiger aus als je. Die ſchöne Stirn zeigte<lb/>
noch klarer als ſonſt die lichten, innigen Gedanken,<lb/>
welche hinter ihrer Wölbung wohnten. Leicht ge-<lb/>
röthet waren die vollen, gutmüthigen Lippen, und<lb/>
um ſie und um die reinen Wangen ſchwebte das<lb/>
friedlichſte Lächeln. Er träumte vielleicht, und<lb/>
mochte wohl von ſeiner Liebe träumen. So ſaß<lb/>
er da, ein reizendes, hohes Jünglingsbild; eine<lb/>
Miſchung von ſiegfreudigem Apoll und ſchwärmen-<lb/>
dem gefühlstrunkenem Bacchus, noch nie ſo klar in<lb/>
dieſer ſeiner Grundform ausgeprägt, als heute,<lb/>
wo die geſchloſſenen Wimpern allen Zügen etwas<lb/>
Feſtes und Ewiges gaben.</p><lb/><p>Lisbeth näherte ſich dem Schlafenden und beugte<lb/>ſich über ſein Haupt. Aber ſie rührte ihn nicht<lb/>
an und ließ kaum ihren Athem um ſeine Wangen<lb/>ſpielen, um ihn nicht aufzuwecken. Dann legte<lb/>ſie leicht und leiſe wie eine beſchenkende Himmels-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[208/0220]
beiden Herren hat ihn etwas matt gemacht. Kom-
men’s nur herein!
Kaum den Boden mit ihren Fußſohlen berüh-
rend ſchritt Lisbeth durch das Krankenzimmer. Im
Lehnſtuhle ſaß Oswald und ſchlief. Sein Antlitz
war ſo weiß wie Marmor, er ſah vornehmer und
prächtiger aus als je. Die ſchöne Stirn zeigte
noch klarer als ſonſt die lichten, innigen Gedanken,
welche hinter ihrer Wölbung wohnten. Leicht ge-
röthet waren die vollen, gutmüthigen Lippen, und
um ſie und um die reinen Wangen ſchwebte das
friedlichſte Lächeln. Er träumte vielleicht, und
mochte wohl von ſeiner Liebe träumen. So ſaß
er da, ein reizendes, hohes Jünglingsbild; eine
Miſchung von ſiegfreudigem Apoll und ſchwärmen-
dem gefühlstrunkenem Bacchus, noch nie ſo klar in
dieſer ſeiner Grundform ausgeprägt, als heute,
wo die geſchloſſenen Wimpern allen Zügen etwas
Feſtes und Ewiges gaben.
Lisbeth näherte ſich dem Schlafenden und beugte
ſich über ſein Haupt. Aber ſie rührte ihn nicht
an und ließ kaum ihren Athem um ſeine Wangen
ſpielen, um ihn nicht aufzuwecken. Dann legte
ſie leicht und leiſe wie eine beſchenkende Himmels-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/220>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.