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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

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An diesem Abende ereignete sich, was hin und
wieder in Liebesschicksalen vorkommt. Die Umher-
stehenden streiten gewaltig mit einander und regen
eine wahre Ilias auf über die Frage, ob zwei
Menschen verbunden bleiben sollen oder nicht! und
die Liebe ruht während des Kampfes seitwärts
unter Rosenbüschen in holder Eintracht. Lisbeth
und Oswald wußten nicht, welche Schlachten um
ihr Geschick ausgefochten wurden oder sich vorbereite-
ten. Lisbeth hatte eine heimliche liebliche Freude
sich zugedacht. Sie pflückte die schönsten Astern
im Garten und wand sie zum Kranze. Mit dem
Kranze schlich sie, als es dunkelte, leise an die
Thüre des Krankenzimmers, horchte dort klopfen-
den Herzens und pochte, als sie im Zimmer nicht
reden hörte, so sacht an, daß nur ein feines Ge-
hör, wie es der alte Jochem besaß, den fast un-
hörbaren Schall vernehmen konnte. Auch er kam
in seinen Socken an die Thüre geschlichen und
öffnete sie ohne Geräusch.

Wacht der Graf? flüsterte Lisbeth.

Nein, versetzte eben so leise der Alte. Er
schlummert im Lehnsessel, das Gespräch mit den

An dieſem Abende ereignete ſich, was hin und
wieder in Liebesſchickſalen vorkommt. Die Umher-
ſtehenden ſtreiten gewaltig mit einander und regen
eine wahre Ilias auf über die Frage, ob zwei
Menſchen verbunden bleiben ſollen oder nicht! und
die Liebe ruht während des Kampfes ſeitwärts
unter Roſenbüſchen in holder Eintracht. Lisbeth
und Oswald wußten nicht, welche Schlachten um
ihr Geſchick ausgefochten wurden oder ſich vorbereite-
ten. Lisbeth hatte eine heimliche liebliche Freude
ſich zugedacht. Sie pflückte die ſchönſten Aſtern
im Garten und wand ſie zum Kranze. Mit dem
Kranze ſchlich ſie, als es dunkelte, leiſe an die
Thüre des Krankenzimmers, horchte dort klopfen-
den Herzens und pochte, als ſie im Zimmer nicht
reden hörte, ſo ſacht an, daß nur ein feines Ge-
hör, wie es der alte Jochem beſaß, den faſt un-
hörbaren Schall vernehmen konnte. Auch er kam
in ſeinen Socken an die Thüre geſchlichen und
öffnete ſie ohne Geräuſch.

Wacht der Graf? flüſterte Lisbeth.

Nein, verſetzte eben ſo leiſe der Alte. Er
ſchlummert im Lehnſeſſel, das Geſpräch mit den

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[207/0219] An dieſem Abende ereignete ſich, was hin und wieder in Liebesſchickſalen vorkommt. Die Umher- ſtehenden ſtreiten gewaltig mit einander und regen eine wahre Ilias auf über die Frage, ob zwei Menſchen verbunden bleiben ſollen oder nicht! und die Liebe ruht während des Kampfes ſeitwärts unter Roſenbüſchen in holder Eintracht. Lisbeth und Oswald wußten nicht, welche Schlachten um ihr Geſchick ausgefochten wurden oder ſich vorbereite- ten. Lisbeth hatte eine heimliche liebliche Freude ſich zugedacht. Sie pflückte die ſchönſten Aſtern im Garten und wand ſie zum Kranze. Mit dem Kranze ſchlich ſie, als es dunkelte, leiſe an die Thüre des Krankenzimmers, horchte dort klopfen- den Herzens und pochte, als ſie im Zimmer nicht reden hörte, ſo ſacht an, daß nur ein feines Ge- hör, wie es der alte Jochem beſaß, den faſt un- hörbaren Schall vernehmen konnte. Auch er kam in ſeinen Socken an die Thüre geſchlichen und öffnete ſie ohne Geräuſch. Wacht der Graf? flüſterte Lisbeth. Nein, verſetzte eben ſo leiſe der Alte. Er ſchlummert im Lehnſeſſel, das Geſpräch mit den

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/219>, abgerufen am 27.11.2024.