Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

chens nehmen können, welches nach allen Anzeigen
zu schließen, eine sehr gefühllose Seele hat.

Gefühllose Seele?

Ist sie, als sie von dem Unfalle ihres alten
Pflegevaters hörte, zu ihm geeilt, wie es einem
dankbaren Kinde eignete? Hat sie sich nicht be-
gnügt, zu fragen, ob er wohl aufgehoben sei? und
als sie erfuhr, daß gute Leute sich seiner ange-
nommen hätten, that sie da etwas Anderes, als
ihm das Geld schicken, welches sie für ihn ver-
wahrte?

Herr Oberamtmann, versetzte der Diaconus,
die Lisbeth hat den Spruch im Herzen empfangen
und ausgetragen: Du sollst Vater und Mutter
verlassen und dem Manne anhangen. Es thut
wohl, endlich einmal auch auf eine Natur zu stoßen,
wenn man so viele Puppen gesehen hat. Ich habe
da die Unterscheidungen und Bezeichnungen auf-
gestellt, welche, wie wir vernehmen, unser großer
Dichter von weiblichen Wesen zu gebrauchen pflegte.
Mir will es so vorkommen als ob Goethe, wenn
er noch lebte und die Lisbeth sähe, sie eine Natur
nennen würde.



chens nehmen können, welches nach allen Anzeigen
zu ſchließen, eine ſehr gefühlloſe Seele hat.

Gefühlloſe Seele?

Iſt ſie, als ſie von dem Unfalle ihres alten
Pflegevaters hörte, zu ihm geeilt, wie es einem
dankbaren Kinde eignete? Hat ſie ſich nicht be-
gnügt, zu fragen, ob er wohl aufgehoben ſei? und
als ſie erfuhr, daß gute Leute ſich ſeiner ange-
nommen hätten, that ſie da etwas Anderes, als
ihm das Geld ſchicken, welches ſie für ihn ver-
wahrte?

Herr Oberamtmann, verſetzte der Diaconus,
die Lisbeth hat den Spruch im Herzen empfangen
und ausgetragen: Du ſollſt Vater und Mutter
verlaſſen und dem Manne anhangen. Es thut
wohl, endlich einmal auch auf eine Natur zu ſtoßen,
wenn man ſo viele Puppen geſehen hat. Ich habe
da die Unterſcheidungen und Bezeichnungen auf-
geſtellt, welche, wie wir vernehmen, unſer großer
Dichter von weiblichen Weſen zu gebrauchen pflegte.
Mir will es ſo vorkommen als ob Goethe, wenn
er noch lebte und die Lisbeth ſähe, ſie eine Natur
nennen würde.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0218" n="206"/>
chens nehmen können, welches nach allen Anzeigen<lb/>
zu &#x017F;chließen, eine &#x017F;ehr gefühllo&#x017F;e Seele hat.</p><lb/>
          <p>Gefühllo&#x017F;e Seele?</p><lb/>
          <p>I&#x017F;t &#x017F;ie, als &#x017F;ie von dem Unfalle ihres alten<lb/>
Pflegevaters hörte, zu ihm geeilt, wie es einem<lb/>
dankbaren Kinde eignete? Hat &#x017F;ie &#x017F;ich nicht be-<lb/>
gnügt, zu fragen, ob er wohl aufgehoben &#x017F;ei? und<lb/>
als &#x017F;ie erfuhr, daß gute Leute &#x017F;ich &#x017F;einer ange-<lb/>
nommen hätten, that &#x017F;ie da etwas Anderes, als<lb/>
ihm das Geld &#x017F;chicken, welches &#x017F;ie für ihn ver-<lb/>
wahrte?</p><lb/>
          <p>Herr Oberamtmann, ver&#x017F;etzte der Diaconus,<lb/>
die Lisbeth hat den Spruch im Herzen empfangen<lb/>
und ausgetragen: Du &#x017F;oll&#x017F;t Vater und Mutter<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en und dem Manne anhangen. Es thut<lb/>
wohl, endlich einmal auch auf eine Natur zu &#x017F;toßen,<lb/>
wenn man &#x017F;o viele Puppen ge&#x017F;ehen hat. Ich habe<lb/>
da die Unter&#x017F;cheidungen und Bezeichnungen auf-<lb/>
ge&#x017F;tellt, welche, wie wir vernehmen, un&#x017F;er großer<lb/>
Dichter von weiblichen We&#x017F;en zu gebrauchen pflegte.<lb/>
Mir will es &#x017F;o vorkommen als ob Goethe, wenn<lb/>
er noch lebte und die Lisbeth &#x017F;ähe, &#x017F;ie eine Natur<lb/>
nennen würde.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0218] chens nehmen können, welches nach allen Anzeigen zu ſchließen, eine ſehr gefühlloſe Seele hat. Gefühlloſe Seele? Iſt ſie, als ſie von dem Unfalle ihres alten Pflegevaters hörte, zu ihm geeilt, wie es einem dankbaren Kinde eignete? Hat ſie ſich nicht be- gnügt, zu fragen, ob er wohl aufgehoben ſei? und als ſie erfuhr, daß gute Leute ſich ſeiner ange- nommen hätten, that ſie da etwas Anderes, als ihm das Geld ſchicken, welches ſie für ihn ver- wahrte? Herr Oberamtmann, verſetzte der Diaconus, die Lisbeth hat den Spruch im Herzen empfangen und ausgetragen: Du ſollſt Vater und Mutter verlaſſen und dem Manne anhangen. Es thut wohl, endlich einmal auch auf eine Natur zu ſtoßen, wenn man ſo viele Puppen geſehen hat. Ich habe da die Unterſcheidungen und Bezeichnungen auf- geſtellt, welche, wie wir vernehmen, unſer großer Dichter von weiblichen Weſen zu gebrauchen pflegte. Mir will es ſo vorkommen als ob Goethe, wenn er noch lebte und die Lisbeth ſähe, ſie eine Natur nennen würde.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/218
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/218>, abgerufen am 24.11.2024.