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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

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sie zu ihm nieder und sah ihm mit dem Blicke
der innigsten Verzweiflung in die müden und er-
loschenen Augen. Weinend und wimmernd legte
sie ihre unschuldigen Finger auf seine Lippen, als
könne sie damit den furchtbaren Blutstrom hemmen.
Noch immer sandte die in ihren Tiefen versehrte
Brust einzelne Tropfen nach, obgleich die Gewalt
des Uebels bereits gebrochen zu seyn schien. Kei-
ner Befleckung an Händen und Kleid achtete sie,
sie, die Reine, Reinliche. Sie rief heftig und
mit lauter Stimme: Gott! Gott! Gott! als müsse
Gott ihr helfen, denn auf Erden wußte sich das
unglückliche Mädchen keinen Rath. Unwillkührlich
war sie in die Kniee gesunken. So entstand dem
Kranken eine Ruhestätte für sein Haupt auf ihrem
Schooße, denn sie hatte sich mit dem Leibe rück-
wärts gebeugt, um ihm die Lage bequem zu
machen. Er lag auf dem Rücken, seine Augen
waren geschlossen, seine Wangen völlig farblos.
Matt und kalt hingen die Arme in das Gras hin-
unter; in welchem liebliche Vergißmeinnicht blühten,
gleichsam ein Blumenspott über den Jammer der
Menschen. Sie aber hatte ihm um Haupt und
Brust ihre Arme gebreitet in der allerzärtlichsten

ſie zu ihm nieder und ſah ihm mit dem Blicke
der innigſten Verzweiflung in die müden und er-
loſchenen Augen. Weinend und wimmernd legte
ſie ihre unſchuldigen Finger auf ſeine Lippen, als
könne ſie damit den furchtbaren Blutſtrom hemmen.
Noch immer ſandte die in ihren Tiefen verſehrte
Bruſt einzelne Tropfen nach, obgleich die Gewalt
des Uebels bereits gebrochen zu ſeyn ſchien. Kei-
ner Befleckung an Händen und Kleid achtete ſie,
ſie, die Reine, Reinliche. Sie rief heftig und
mit lauter Stimme: Gott! Gott! Gott! als müſſe
Gott ihr helfen, denn auf Erden wußte ſich das
unglückliche Mädchen keinen Rath. Unwillkührlich
war ſie in die Kniee geſunken. So entſtand dem
Kranken eine Ruheſtätte für ſein Haupt auf ihrem
Schooße, denn ſie hatte ſich mit dem Leibe rück-
wärts gebeugt, um ihm die Lage bequem zu
machen. Er lag auf dem Rücken, ſeine Augen
waren geſchloſſen, ſeine Wangen völlig farblos.
Matt und kalt hingen die Arme in das Gras hin-
unter; in welchem liebliche Vergißmeinnicht blühten,
gleichſam ein Blumenſpott über den Jammer der
Menſchen. Sie aber hatte ihm um Haupt und
Bruſt ihre Arme gebreitet in der allerzärtlichſten

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[165/0177] ſie zu ihm nieder und ſah ihm mit dem Blicke der innigſten Verzweiflung in die müden und er- loſchenen Augen. Weinend und wimmernd legte ſie ihre unſchuldigen Finger auf ſeine Lippen, als könne ſie damit den furchtbaren Blutſtrom hemmen. Noch immer ſandte die in ihren Tiefen verſehrte Bruſt einzelne Tropfen nach, obgleich die Gewalt des Uebels bereits gebrochen zu ſeyn ſchien. Kei- ner Befleckung an Händen und Kleid achtete ſie, ſie, die Reine, Reinliche. Sie rief heftig und mit lauter Stimme: Gott! Gott! Gott! als müſſe Gott ihr helfen, denn auf Erden wußte ſich das unglückliche Mädchen keinen Rath. Unwillkührlich war ſie in die Kniee geſunken. So entſtand dem Kranken eine Ruheſtätte für ſein Haupt auf ihrem Schooße, denn ſie hatte ſich mit dem Leibe rück- wärts gebeugt, um ihm die Lage bequem zu machen. Er lag auf dem Rücken, ſeine Augen waren geſchloſſen, ſeine Wangen völlig farblos. Matt und kalt hingen die Arme in das Gras hin- unter; in welchem liebliche Vergißmeinnicht blühten, gleichſam ein Blumenſpott über den Jammer der Menſchen. Sie aber hatte ihm um Haupt und Bruſt ihre Arme gebreitet in der allerzärtlichſten

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/177>, abgerufen am 25.11.2024.