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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

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nicht die Verzweiflung den Küster gerettet hätte.
Hatte derselbe vorher geschrieen, so brüllte er
nunmehr. Brüllend griff er mit der Faust durch
ein Loch der Lehmwand hinter sich und faßte die
Magd, welche außen wacker gegengestemmt stand,
in den Schopf. Die Magd, welche sich so schmerz-
lich berührt fühlte, vergaß nun auch ihre Aufgabe,
die Wand zu halten; sie zerrte sich vielmehr mit
aller Kraft ihres starken Leibes von der Wand
ab, um der Faust aus dem Schopfe quitt zu wer-
den. Dadurch wurde der Küster, der sich an diesem
letzten Strohhalme in seiner äußersten Noth, an
einem menschlichen, mitfühlenden Wesen, krampf-
haft festhielt, gegen die Lehmwand heftiger gepreßt.
Die Lehmwand leistete unter solchem Drucke keinen
längeren Widerstand, sondern brach zusammen und
der Lehm überschüttete den Küster scheußlich gelb
von oben bis unten, so daß er aussah, wie ein
König der gelben Erbsen; indessen wurde er von
der Magd, an deren Schopfe er gleichsam wie ein
Geschleifter hing, in das Freie gerissen und er-
hielt nur einen Schlag über die Nase vom Schul-
meister. Der genothängsteten Magd glückte es
endlich, den Brodherrn mit Zurücklassung eines

Immermann's Münchhausen. 4. Th. 11

nicht die Verzweiflung den Küſter gerettet hätte.
Hatte derſelbe vorher geſchrieen, ſo brüllte er
nunmehr. Brüllend griff er mit der Fauſt durch
ein Loch der Lehmwand hinter ſich und faßte die
Magd, welche außen wacker gegengeſtemmt ſtand,
in den Schopf. Die Magd, welche ſich ſo ſchmerz-
lich berührt fühlte, vergaß nun auch ihre Aufgabe,
die Wand zu halten; ſie zerrte ſich vielmehr mit
aller Kraft ihres ſtarken Leibes von der Wand
ab, um der Fauſt aus dem Schopfe quitt zu wer-
den. Dadurch wurde der Küſter, der ſich an dieſem
letzten Strohhalme in ſeiner äußerſten Noth, an
einem menſchlichen, mitfühlenden Weſen, krampf-
haft feſthielt, gegen die Lehmwand heftiger gepreßt.
Die Lehmwand leiſtete unter ſolchem Drucke keinen
längeren Widerſtand, ſondern brach zuſammen und
der Lehm überſchüttete den Küſter ſcheußlich gelb
von oben bis unten, ſo daß er ausſah, wie ein
König der gelben Erbſen; indeſſen wurde er von
der Magd, an deren Schopfe er gleichſam wie ein
Geſchleifter hing, in das Freie geriſſen und er-
hielt nur einen Schlag über die Naſe vom Schul-
meiſter. Der genothängſteten Magd glückte es
endlich, den Brodherrn mit Zurücklaſſung eines

Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 11
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[161/0173] nicht die Verzweiflung den Küſter gerettet hätte. Hatte derſelbe vorher geſchrieen, ſo brüllte er nunmehr. Brüllend griff er mit der Fauſt durch ein Loch der Lehmwand hinter ſich und faßte die Magd, welche außen wacker gegengeſtemmt ſtand, in den Schopf. Die Magd, welche ſich ſo ſchmerz- lich berührt fühlte, vergaß nun auch ihre Aufgabe, die Wand zu halten; ſie zerrte ſich vielmehr mit aller Kraft ihres ſtarken Leibes von der Wand ab, um der Fauſt aus dem Schopfe quitt zu wer- den. Dadurch wurde der Küſter, der ſich an dieſem letzten Strohhalme in ſeiner äußerſten Noth, an einem menſchlichen, mitfühlenden Weſen, krampf- haft feſthielt, gegen die Lehmwand heftiger gepreßt. Die Lehmwand leiſtete unter ſolchem Drucke keinen längeren Widerſtand, ſondern brach zuſammen und der Lehm überſchüttete den Küſter ſcheußlich gelb von oben bis unten, ſo daß er ausſah, wie ein König der gelben Erbſen; indeſſen wurde er von der Magd, an deren Schopfe er gleichſam wie ein Geſchleifter hing, in das Freie geriſſen und er- hielt nur einen Schlag über die Naſe vom Schul- meiſter. Der genothängſteten Magd glückte es endlich, den Brodherrn mit Zurücklaſſung eines Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 11

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/173>, abgerufen am 24.11.2024.