Aber er sah auch mit den verwachten und geröthe- ten Augen Alles, er hörte Alles, was um ihn vorging. -- Vor dem Hause stand der Hofschulze mit einem anderen Bauern im Gespräch. Sie standen mit dem Rücken gegen die Thüre, so daß sie den jungen Grafen nicht bemerkten. -- Hof- schulze, sagte der Bauer, es kann doch nun ein- mal nichts helfen, kommt also nur immerhin zum Stuhl, denn das Gericht muß gehegt werden auch ohne dieses. -- Der Hofschulze antwortete auf das anfangs mit einem tiefen Seufzer, dann sagte er so hohl, als steige die Stimme aus dem Grabe empor: Ich will kommen, aber ich weiß nicht, ob es ohne das Schwert gelingen wird. -- Der Bauer ging seitwärts ab, der Hofschulze wandte sich um und Oswald sah, daß das Antlitz seines alten Wirthes ganz verfallen war. So blickte auch der Hofschulze in das zerstörte Antlitz seines jungen Gastes; sie warfen einander finstere und doch nichtssagende Blicke zu, und dann ging Jeder seiner Wege; der junge Graf durch die Felder, der alte Bauer in das Haus. Auf seinem Wege sagte Oswald zerstört lachend: Sie werden heute ihren Hokuspokus am Freistuhl machen; ich will
Immermann's Münchhausen. 4. Th. 8
Aber er ſah auch mit den verwachten und geröthe- ten Augen Alles, er hörte Alles, was um ihn vorging. — Vor dem Hauſe ſtand der Hofſchulze mit einem anderen Bauern im Geſpräch. Sie ſtanden mit dem Rücken gegen die Thüre, ſo daß ſie den jungen Grafen nicht bemerkten. — Hof- ſchulze, ſagte der Bauer, es kann doch nun ein- mal nichts helfen, kommt alſo nur immerhin zum Stuhl, denn das Gericht muß gehegt werden auch ohne dieſes. — Der Hofſchulze antwortete auf das anfangs mit einem tiefen Seufzer, dann ſagte er ſo hohl, als ſteige die Stimme aus dem Grabe empor: Ich will kommen, aber ich weiß nicht, ob es ohne das Schwert gelingen wird. — Der Bauer ging ſeitwärts ab, der Hofſchulze wandte ſich um und Oswald ſah, daß das Antlitz ſeines alten Wirthes ganz verfallen war. So blickte auch der Hofſchulze in das zerſtörte Antlitz ſeines jungen Gaſtes; ſie warfen einander finſtere und doch nichtsſagende Blicke zu, und dann ging Jeder ſeiner Wege; der junge Graf durch die Felder, der alte Bauer in das Haus. Auf ſeinem Wege ſagte Oswald zerſtört lachend: Sie werden heute ihren Hokuspokus am Freiſtuhl machen; ich will
Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 8
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Aber er ſah auch mit den verwachten und geröthe-
ten Augen Alles, er hörte Alles, was um ihn
vorging. — Vor dem Hauſe ſtand der Hofſchulze
mit einem anderen Bauern im Geſpräch. Sie
ſtanden mit dem Rücken gegen die Thüre, ſo daß
ſie den jungen Grafen nicht bemerkten. — Hof-
ſchulze, ſagte der Bauer, es kann doch nun ein-
mal nichts helfen, kommt alſo nur immerhin zum
Stuhl, denn das Gericht muß gehegt werden auch
ohne dieſes. — Der Hofſchulze antwortete auf
das anfangs mit einem tiefen Seufzer, dann ſagte
er ſo hohl, als ſteige die Stimme aus dem Grabe
empor: Ich will kommen, aber ich weiß nicht, ob
es ohne das Schwert gelingen wird. — Der Bauer
ging ſeitwärts ab, der Hofſchulze wandte ſich um
und Oswald ſah, daß das Antlitz ſeines alten
Wirthes ganz verfallen war. So blickte auch der
Hofſchulze in das zerſtörte Antlitz ſeines jungen
Gaſtes; ſie warfen einander finſtere und doch
nichtsſagende Blicke zu, und dann ging Jeder
ſeiner Wege; der junge Graf durch die Felder,
der alte Bauer in das Haus. Auf ſeinem Wege
ſagte Oswald zerſtört lachend: Sie werden heute
ihren Hokuspokus am Freiſtuhl machen; ich will
Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 8
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/125>, abgerufen am 22.11.2024.
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