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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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der Trauung ist ein uralter Gebrauch, den sich die
Leute nicht nehmen lassen. Sie sagen, er solle
bedeuten, daß der Bräutigam fühle, wie weh
Schläge thun, damit er sein künftiges hausherrli-
ches Recht wider die Frau nicht mißbrauche.

Ja, das sind denn doch aber wunderbare Sit-
ten ... murmelte die Excellenz und stieg von
der Kanzel. Unten empfing sie der Diaconus sehr
höflich und wurde von ihr mit drei Küssen auf der
flachen Wange beehrt. Dann führte der Geistliche
seinen vornehmen Bekannten in die Sakristei, um
ihn von dort in das Freie zu entlassen. Der noch
immer Erschrockene sagte, er müsse erst überlegen,
ob er an dem ferneren Verlaufe der Festlichkeit
Theil nehmen könne. Der Geistliche bedauerte
dagegen auf dem Wege nach der Sakristei unend-
lich, daß er nicht früher von dem Vorhaben Seiner
Excellenz Kunde erhalten habe, weil er dann im
Stande gewesen sei, Nachricht von der Prügelsitte
zu ertheilen und so Furcht und Schreck abzuwenden.

Nachdem Beide sich entfernt hatten, war Stille
und Schweigen in der Kirche. Es war ein arti-
ges Kirchlein, reinlich und nicht zu bunt; ein
reicher Wohlthäter hatte Manches dafür gethan.

der Trauung iſt ein uralter Gebrauch, den ſich die
Leute nicht nehmen laſſen. Sie ſagen, er ſolle
bedeuten, daß der Bräutigam fühle, wie weh
Schläge thun, damit er ſein künftiges hausherrli-
ches Recht wider die Frau nicht mißbrauche.

Ja, das ſind denn doch aber wunderbare Sit-
ten … murmelte die Excellenz und ſtieg von
der Kanzel. Unten empfing ſie der Diaconus ſehr
höflich und wurde von ihr mit drei Küſſen auf der
flachen Wange beehrt. Dann führte der Geiſtliche
ſeinen vornehmen Bekannten in die Sakriſtei, um
ihn von dort in das Freie zu entlaſſen. Der noch
immer Erſchrockene ſagte, er müſſe erſt überlegen,
ob er an dem ferneren Verlaufe der Feſtlichkeit
Theil nehmen könne. Der Geiſtliche bedauerte
dagegen auf dem Wege nach der Sakriſtei unend-
lich, daß er nicht früher von dem Vorhaben Seiner
Excellenz Kunde erhalten habe, weil er dann im
Stande geweſen ſei, Nachricht von der Prügelſitte
zu ertheilen und ſo Furcht und Schreck abzuwenden.

Nachdem Beide ſich entfernt hatten, war Stille
und Schweigen in der Kirche. Es war ein arti-
ges Kirchlein, reinlich und nicht zu bunt; ein
reicher Wohlthäter hatte Manches dafür gethan.

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[69/0083] der Trauung iſt ein uralter Gebrauch, den ſich die Leute nicht nehmen laſſen. Sie ſagen, er ſolle bedeuten, daß der Bräutigam fühle, wie weh Schläge thun, damit er ſein künftiges hausherrli- ches Recht wider die Frau nicht mißbrauche. Ja, das ſind denn doch aber wunderbare Sit- ten … murmelte die Excellenz und ſtieg von der Kanzel. Unten empfing ſie der Diaconus ſehr höflich und wurde von ihr mit drei Küſſen auf der flachen Wange beehrt. Dann führte der Geiſtliche ſeinen vornehmen Bekannten in die Sakriſtei, um ihn von dort in das Freie zu entlaſſen. Der noch immer Erſchrockene ſagte, er müſſe erſt überlegen, ob er an dem ferneren Verlaufe der Feſtlichkeit Theil nehmen könne. Der Geiſtliche bedauerte dagegen auf dem Wege nach der Sakriſtei unend- lich, daß er nicht früher von dem Vorhaben Seiner Excellenz Kunde erhalten habe, weil er dann im Stande geweſen ſei, Nachricht von der Prügelſitte zu ertheilen und ſo Furcht und Schreck abzuwenden. Nachdem Beide ſich entfernt hatten, war Stille und Schweigen in der Kirche. Es war ein arti- ges Kirchlein, reinlich und nicht zu bunt; ein reicher Wohlthäter hatte Manches dafür gethan.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/83>, abgerufen am 24.11.2024.