Hofschulze dachte an Nichts, als an die Hochzeit, und der Jäger an nichts weniger, als an sie, ob- gleich seine Gedanken um den Brautwagen flogen.
Fahre dieser nun langsam nach dem Hofe des Bräutigams, wo schon die ganze Hochzeitsgesell- schaft; Männer, Frauen, Mädchen, junge Bursche aus allen umliegenden Wehren, und überdieß die Freunde aus der Stadt, der Hauptmann und der Sammler seiner warten. Dort wird abgeladen; wir gehen inzwischen voran zur Kirche, die in der Mitte der ganzen Bauerschaft auf einem grünen Hügel, beschattet von Wallnußbäumen und wilden Kastanien liegt. -- In der Sakristei beschäftigte sich der Diaconus still mit seinem Texte. Er gehörte zu den glücklichen Geistlichen, deren innerste Glau- benskraft vom Zweifel, welchen die neuere Wissen- schaft erst recht gründlich ausgeschaffen hat, nicht berührt wird. Die verflüchtigenden Vorstellungen, welche in das Christenthum eingedrungen sind, waren ihm nicht fremd geblieben, und sein Geist mußte zu sich sagen, daß darin mehr Wahrheit sei, als in dem Buchstaben des Orthodoxen. Aber es ging ihm mit der heiligen Geschichte, wie es uns mit unsern Eltern geht. Wir erkennen ihre Schwä-
Hofſchulze dachte an Nichts, als an die Hochzeit, und der Jäger an nichts weniger, als an ſie, ob- gleich ſeine Gedanken um den Brautwagen flogen.
Fahre dieſer nun langſam nach dem Hofe des Bräutigams, wo ſchon die ganze Hochzeitsgeſell- ſchaft; Männer, Frauen, Mädchen, junge Burſche aus allen umliegenden Wehren, und überdieß die Freunde aus der Stadt, der Hauptmann und der Sammler ſeiner warten. Dort wird abgeladen; wir gehen inzwiſchen voran zur Kirche, die in der Mitte der ganzen Bauerſchaft auf einem grünen Hügel, beſchattet von Wallnußbäumen und wilden Kaſtanien liegt. — In der Sakriſtei beſchäftigte ſich der Diaconus ſtill mit ſeinem Texte. Er gehörte zu den glücklichen Geiſtlichen, deren innerſte Glau- benskraft vom Zweifel, welchen die neuere Wiſſen- ſchaft erſt recht gründlich ausgeſchaffen hat, nicht berührt wird. Die verflüchtigenden Vorſtellungen, welche in das Chriſtenthum eingedrungen ſind, waren ihm nicht fremd geblieben, und ſein Geiſt mußte zu ſich ſagen, daß darin mehr Wahrheit ſei, als in dem Buchſtaben des Orthodoxen. Aber es ging ihm mit der heiligen Geſchichte, wie es uns mit unſern Eltern geht. Wir erkennen ihre Schwä-
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Hofſchulze dachte an Nichts, als an die Hochzeit,
und der Jäger an nichts weniger, als an ſie, ob-
gleich ſeine Gedanken um den Brautwagen flogen.
Fahre dieſer nun langſam nach dem Hofe des
Bräutigams, wo ſchon die ganze Hochzeitsgeſell-
ſchaft; Männer, Frauen, Mädchen, junge Burſche
aus allen umliegenden Wehren, und überdieß die
Freunde aus der Stadt, der Hauptmann und der
Sammler ſeiner warten. Dort wird abgeladen;
wir gehen inzwiſchen voran zur Kirche, die in der
Mitte der ganzen Bauerſchaft auf einem grünen
Hügel, beſchattet von Wallnußbäumen und wilden
Kaſtanien liegt. — In der Sakriſtei beſchäftigte ſich
der Diaconus ſtill mit ſeinem Texte. Er gehörte
zu den glücklichen Geiſtlichen, deren innerſte Glau-
benskraft vom Zweifel, welchen die neuere Wiſſen-
ſchaft erſt recht gründlich ausgeſchaffen hat, nicht
berührt wird. Die verflüchtigenden Vorſtellungen,
welche in das Chriſtenthum eingedrungen ſind,
waren ihm nicht fremd geblieben, und ſein Geiſt
mußte zu ſich ſagen, daß darin mehr Wahrheit ſei,
als in dem Buchſtaben des Orthodoxen. Aber es
ging ihm mit der heiligen Geſchichte, wie es uns
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/73>, abgerufen am 24.11.2024.
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