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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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die Freude, und wenn er ihr dann gleich wieder
die Hand drückte, und die ihrige nun regungslos
in der seinigen blieb, gleich als wollte sie sagen:
Verschwenden wir das Beste nicht! so gefiel ihm
das auch. Eben so war es mit den Blicken. Ihr
Auge ruhte einmal oder zweimal des Tages hin-
gegeben an ihm und dann nicht wieder, er mochte
es mit dem seinigen auffordern, wie dringend er
wollte. Daß sie in Allem Maaß hielt, gefiel ihm
so sehr. Ja, es gefiel ihm sogar, daß ihre Ober-
lippe ein klein wenig zu kurz war, und die weiße-
sten Zähne zum Vorschein kamen, wenn sie lachte
oder lebhaft sprach. Denn dieser Mangel gab in
seinen Augen ihrem Gesichte etwas reizend Kind-
liches, lieblich Unfertiges, was wie Alles in ihr
auf die letzte, süßeste Vollendung durch den Hauch
der Zärtlichkeit harrte.

So gingen ihnen die Tage hin, einer nach dem
andern im Oberhofe. Der Hofschulze sah freilich
mit andern Augen drein, mußte zwar geschehen
lassen, was er nicht hindern konnte, aber er schüt-
telte häufig den Kopf, wenn er seine jungen Gäste
so viel mit einander gehen und verkehren sab.
Dann pflegte er für sich zu sagen: Es it Unrecht

die Freude, und wenn er ihr dann gleich wieder
die Hand drückte, und die ihrige nun regungslos
in der ſeinigen blieb, gleich als wollte ſie ſagen:
Verſchwenden wir das Beſte nicht! ſo gefiel ihm
das auch. Eben ſo war es mit den Blicken. Ihr
Auge ruhte einmal oder zweimal des Tages hin-
gegeben an ihm und dann nicht wieder, er mochte
es mit dem ſeinigen auffordern, wie dringend er
wollte. Daß ſie in Allem Maaß hielt, gefiel ihm
ſo ſehr. Ja, es gefiel ihm ſogar, daß ihre Ober-
lippe ein klein wenig zu kurz war, und die weiße-
ſten Zähne zum Vorſchein kamen, wenn ſie lachte
oder lebhaft ſprach. Denn dieſer Mangel gab in
ſeinen Augen ihrem Geſichte etwas reizend Kind-
liches, lieblich Unfertiges, was wie Alles in ihr
auf die letzte, ſüßeſte Vollendung durch den Hauch
der Zärtlichkeit harrte.

So gingen ihnen die Tage hin, einer nach dem
andern im Oberhofe. Der Hofſchulze ſah freilich
mit andern Augen drein, mußte zwar geſchehen
laſſen, was er nicht hindern konnte, aber er ſchüt-
telte häufig den Kopf, wenn er ſeine jungen Gäſte
ſo viel mit einander gehen und verkehren ſab.
Dann pflegte er für ſich zu ſagen: Es it Unrecht

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[50/0064] die Freude, und wenn er ihr dann gleich wieder die Hand drückte, und die ihrige nun regungslos in der ſeinigen blieb, gleich als wollte ſie ſagen: Verſchwenden wir das Beſte nicht! ſo gefiel ihm das auch. Eben ſo war es mit den Blicken. Ihr Auge ruhte einmal oder zweimal des Tages hin- gegeben an ihm und dann nicht wieder, er mochte es mit dem ſeinigen auffordern, wie dringend er wollte. Daß ſie in Allem Maaß hielt, gefiel ihm ſo ſehr. Ja, es gefiel ihm ſogar, daß ihre Ober- lippe ein klein wenig zu kurz war, und die weiße- ſten Zähne zum Vorſchein kamen, wenn ſie lachte oder lebhaft ſprach. Denn dieſer Mangel gab in ſeinen Augen ihrem Geſichte etwas reizend Kind- liches, lieblich Unfertiges, was wie Alles in ihr auf die letzte, ſüßeſte Vollendung durch den Hauch der Zärtlichkeit harrte. So gingen ihnen die Tage hin, einer nach dem andern im Oberhofe. Der Hofſchulze ſah freilich mit andern Augen drein, mußte zwar geſchehen laſſen, was er nicht hindern konnte, aber er ſchüt- telte häufig den Kopf, wenn er ſeine jungen Gäſte ſo viel mit einander gehen und verkehren ſab. Dann pflegte er für ſich zu ſagen: Es it Unrecht

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/64>, abgerufen am 24.11.2024.