Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Ruhe bald wiedergewonnen. Er fügte aber dem
abweisenden Bescheide hinzu, daß der Andere sich
fern von den Gästen in den Eichenkamp setzen
dürfe und dort der Stillung seines Hungers ge-
wärtig seyn könne.

Aber in diesem sonderbaren Volke lebt selbst
bei den Geächteten und Ausgestoßenen ein gewisser
Stolz fort. Der Spielmann warf auf das letzte
Anerbieten seines rauhen Feindes trotzig den Nacken
empor und rief: Umsonst habe ich noch nie Brod
gegessen, und wenn Ihr mir nicht vergönnen wollt,
für Euch zu arbeiten, so will ich fortfahren zu
hungern.

Er wandte sich und ging der Thüre zu. Der
Hofschulze wartete seine völlige Entfernung nicht
ab, um hinter das Saatlaken zurückzutreten. Der
Spielmann blieb aber in der Thüre stehen, und
als er sah, daß sein Widersacher ihn nicht bemerken
konnte, setzte er leise seinen Leierkasten ab, schlich
auf den Zehen unhörbar wieder in die Kammer,
blickte sich spähend um, flüsterte: Hier muß es
irgendwo herum stecken! Wo steckt es?

Der Koffer erregte seine Aufmerksamkeit, er
schlug sacht den Deckel zurück und hätte beinahe

Ruhe bald wiedergewonnen. Er fügte aber dem
abweiſenden Beſcheide hinzu, daß der Andere ſich
fern von den Gäſten in den Eichenkamp ſetzen
dürfe und dort der Stillung ſeines Hungers ge-
wärtig ſeyn könne.

Aber in dieſem ſonderbaren Volke lebt ſelbſt
bei den Geächteten und Ausgeſtoßenen ein gewiſſer
Stolz fort. Der Spielmann warf auf das letzte
Anerbieten ſeines rauhen Feindes trotzig den Nacken
empor und rief: Umſonſt habe ich noch nie Brod
gegeſſen, und wenn Ihr mir nicht vergönnen wollt,
für Euch zu arbeiten, ſo will ich fortfahren zu
hungern.

Er wandte ſich und ging der Thüre zu. Der
Hofſchulze wartete ſeine völlige Entfernung nicht
ab, um hinter das Saatlaken zurückzutreten. Der
Spielmann blieb aber in der Thüre ſtehen, und
als er ſah, daß ſein Widerſacher ihn nicht bemerken
konnte, ſetzte er leiſe ſeinen Leierkaſten ab, ſchlich
auf den Zehen unhörbar wieder in die Kammer,
blickte ſich ſpähend um, flüſterte: Hier muß es
irgendwo herum ſtecken! Wo ſteckt es?

Der Koffer erregte ſeine Aufmerkſamkeit, er
ſchlug ſacht den Deckel zurück und hätte beinahe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0029" n="15"/>
Ruhe bald wiedergewonnen. Er fügte aber dem<lb/>
abwei&#x017F;enden Be&#x017F;cheide hinzu, daß der Andere &#x017F;ich<lb/>
fern von den Gä&#x017F;ten in den Eichenkamp &#x017F;etzen<lb/>
dürfe und dort der Stillung &#x017F;eines Hungers ge-<lb/>
wärtig &#x017F;eyn könne.</p><lb/>
          <p>Aber in die&#x017F;em &#x017F;onderbaren Volke lebt &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
bei den Geächteten und Ausge&#x017F;toßenen ein gewi&#x017F;&#x017F;er<lb/>
Stolz fort. Der Spielmann warf auf das letzte<lb/>
Anerbieten &#x017F;eines rauhen Feindes trotzig den Nacken<lb/>
empor und rief: Um&#x017F;on&#x017F;t habe ich noch nie Brod<lb/>
gege&#x017F;&#x017F;en, und wenn Ihr mir nicht vergönnen wollt,<lb/>
für Euch zu arbeiten, &#x017F;o will ich fortfahren zu<lb/>
hungern.</p><lb/>
          <p>Er wandte &#x017F;ich und ging der Thüre zu. Der<lb/>
Hof&#x017F;chulze wartete &#x017F;eine völlige Entfernung nicht<lb/>
ab, um hinter das Saatlaken zurückzutreten. Der<lb/>
Spielmann blieb aber in der Thüre &#x017F;tehen, und<lb/>
als er &#x017F;ah, daß &#x017F;ein Wider&#x017F;acher ihn nicht bemerken<lb/>
konnte, &#x017F;etzte er lei&#x017F;e &#x017F;einen Leierka&#x017F;ten ab, &#x017F;chlich<lb/>
auf den Zehen unhörbar wieder in die Kammer,<lb/>
blickte &#x017F;ich &#x017F;pähend um, flü&#x017F;terte: Hier muß es<lb/>
irgendwo herum &#x017F;tecken! Wo &#x017F;teckt es?</p><lb/>
          <p>Der Koffer erregte &#x017F;eine Aufmerk&#x017F;amkeit, er<lb/>
&#x017F;chlug &#x017F;acht den Deckel zurück und hätte beinahe<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0029] Ruhe bald wiedergewonnen. Er fügte aber dem abweiſenden Beſcheide hinzu, daß der Andere ſich fern von den Gäſten in den Eichenkamp ſetzen dürfe und dort der Stillung ſeines Hungers ge- wärtig ſeyn könne. Aber in dieſem ſonderbaren Volke lebt ſelbſt bei den Geächteten und Ausgeſtoßenen ein gewiſſer Stolz fort. Der Spielmann warf auf das letzte Anerbieten ſeines rauhen Feindes trotzig den Nacken empor und rief: Umſonſt habe ich noch nie Brod gegeſſen, und wenn Ihr mir nicht vergönnen wollt, für Euch zu arbeiten, ſo will ich fortfahren zu hungern. Er wandte ſich und ging der Thüre zu. Der Hofſchulze wartete ſeine völlige Entfernung nicht ab, um hinter das Saatlaken zurückzutreten. Der Spielmann blieb aber in der Thüre ſtehen, und als er ſah, daß ſein Widerſacher ihn nicht bemerken konnte, ſetzte er leiſe ſeinen Leierkaſten ab, ſchlich auf den Zehen unhörbar wieder in die Kammer, blickte ſich ſpähend um, flüſterte: Hier muß es irgendwo herum ſtecken! Wo ſteckt es? Der Koffer erregte ſeine Aufmerkſamkeit, er ſchlug ſacht den Deckel zurück und hätte beinahe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/29
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/29>, abgerufen am 24.11.2024.