Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

bettelte um Sonnenschein, das Kriechende dagegen
um die Feuchtigkeit. Dieses ganze Gesindel nannte
ihn seinen Herrgott, so daß ihm fast wieder die
Sinne zu schwanken begannen.

Auch bei den Vögeln war des Zwitscherns,
Plapperns und Erzählens kein Ende. Ein Bunt-
specht kletterte an der Borke einer großen Eiche
auf und nieder, hackte und pickte nach den Wür-
mern und ward nicht müd' zu schreien: Ich bin
der Förster; ich muß für den Wald sorgen! -- Der
Zaunkönig sagte zum Finken: Es ist gar keine
Freundschaft mehr unter uns; der Pfau will nicht
leiden, daß auch ich ein Rad schlage, er meint, er
habe allein das Recht dazu, und hat mich verklagt
beim höchsten Gericht, und ich kann doch ein so
schönes Rädlein schlagen mit meinem braunen
Schwänzlein. -- Der Fink versetzte: Laß mich zufrie-
den. Ich freß' mein Korn und kümmere mich sonst
um Nichts; ich hab' ganz andere Sorgen, zu mei-
nem Waldschlag lern' ich die eigentlichen kunst-
mäßigen Weisen nur hinzu, wenn sie mich blenden;
es ist aber schrecklich, daß aus Einem erst was
Rechtes wird, wenn man so hart verstümmelt wor-
den ist. -- Von Diebstählen plauderten die Andern

bettelte um Sonnenſchein, das Kriechende dagegen
um die Feuchtigkeit. Dieſes ganze Geſindel nannte
ihn ſeinen Herrgott, ſo daß ihm faſt wieder die
Sinne zu ſchwanken begannen.

Auch bei den Vögeln war des Zwitſcherns,
Plapperns und Erzählens kein Ende. Ein Bunt-
ſpecht kletterte an der Borke einer großen Eiche
auf und nieder, hackte und pickte nach den Wür-
mern und ward nicht müd’ zu ſchreien: Ich bin
der Förſter; ich muß für den Wald ſorgen! — Der
Zaunkönig ſagte zum Finken: Es iſt gar keine
Freundſchaft mehr unter uns; der Pfau will nicht
leiden, daß auch ich ein Rad ſchlage, er meint, er
habe allein das Recht dazu, und hat mich verklagt
beim höchſten Gericht, und ich kann doch ein ſo
ſchönes Rädlein ſchlagen mit meinem braunen
Schwänzlein. — Der Fink verſetzte: Laß mich zufrie-
den. Ich freß’ mein Korn und kümmere mich ſonſt
um Nichts; ich hab’ ganz andere Sorgen, zu mei-
nem Waldſchlag lern’ ich die eigentlichen kunſt-
mäßigen Weiſen nur hinzu, wenn ſie mich blenden;
es iſt aber ſchrecklich, daß aus Einem erſt was
Rechtes wird, wenn man ſo hart verſtümmelt wor-
den iſt. — Von Diebſtählen plauderten die Andern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0176" n="162"/>
bettelte um Sonnen&#x017F;chein, das Kriechende dagegen<lb/>
um die Feuchtigkeit. Die&#x017F;es ganze Ge&#x017F;indel nannte<lb/>
ihn &#x017F;einen Herrgott, &#x017F;o daß ihm fa&#x017F;t wieder die<lb/>
Sinne zu &#x017F;chwanken begannen.</p><lb/>
          <p>Auch bei den Vögeln war des Zwit&#x017F;cherns,<lb/>
Plapperns und Erzählens kein Ende. Ein Bunt-<lb/>
&#x017F;pecht kletterte an der Borke einer großen Eiche<lb/>
auf und nieder, hackte und pickte nach den Wür-<lb/>
mern und ward nicht müd&#x2019; zu &#x017F;chreien: Ich bin<lb/>
der För&#x017F;ter; ich muß für den Wald &#x017F;orgen! &#x2014; Der<lb/>
Zaunkönig &#x017F;agte zum Finken: Es i&#x017F;t gar keine<lb/>
Freund&#x017F;chaft mehr unter uns; der Pfau will nicht<lb/>
leiden, daß auch ich ein Rad &#x017F;chlage, er meint, er<lb/>
habe allein das Recht dazu, und hat mich verklagt<lb/>
beim höch&#x017F;ten Gericht, und ich kann doch ein &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chönes Rädlein &#x017F;chlagen mit meinem braunen<lb/>
Schwänzlein. &#x2014; Der Fink ver&#x017F;etzte: Laß mich zufrie-<lb/>
den. Ich freß&#x2019; mein Korn und kümmere mich &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
um Nichts; ich hab&#x2019; ganz andere Sorgen, zu mei-<lb/>
nem Wald&#x017F;chlag lern&#x2019; ich die eigentlichen kun&#x017F;t-<lb/>
mäßigen Wei&#x017F;en nur hinzu, wenn &#x017F;ie mich blenden;<lb/>
es i&#x017F;t aber &#x017F;chrecklich, daß aus Einem er&#x017F;t was<lb/>
Rechtes wird, wenn man &#x017F;o hart ver&#x017F;tümmelt wor-<lb/>
den i&#x017F;t. &#x2014; Von Dieb&#x017F;tählen plauderten die Andern<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0176] bettelte um Sonnenſchein, das Kriechende dagegen um die Feuchtigkeit. Dieſes ganze Geſindel nannte ihn ſeinen Herrgott, ſo daß ihm faſt wieder die Sinne zu ſchwanken begannen. Auch bei den Vögeln war des Zwitſcherns, Plapperns und Erzählens kein Ende. Ein Bunt- ſpecht kletterte an der Borke einer großen Eiche auf und nieder, hackte und pickte nach den Wür- mern und ward nicht müd’ zu ſchreien: Ich bin der Förſter; ich muß für den Wald ſorgen! — Der Zaunkönig ſagte zum Finken: Es iſt gar keine Freundſchaft mehr unter uns; der Pfau will nicht leiden, daß auch ich ein Rad ſchlage, er meint, er habe allein das Recht dazu, und hat mich verklagt beim höchſten Gericht, und ich kann doch ein ſo ſchönes Rädlein ſchlagen mit meinem braunen Schwänzlein. — Der Fink verſetzte: Laß mich zufrie- den. Ich freß’ mein Korn und kümmere mich ſonſt um Nichts; ich hab’ ganz andere Sorgen, zu mei- nem Waldſchlag lern’ ich die eigentlichen kunſt- mäßigen Weiſen nur hinzu, wenn ſie mich blenden; es iſt aber ſchrecklich, daß aus Einem erſt was Rechtes wird, wenn man ſo hart verſtümmelt wor- den iſt. — Von Diebſtählen plauderten die Andern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/176
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/176>, abgerufen am 23.11.2024.