Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Schmerzen trieb die neue in ihm aufgewachte Kraft
seine Gliedmaßen zu ungeheurer Größe, daß er
meinte, er müsse an den Himmel rühren. Die
Wände seines Hauptes und seiner Brust wurden
tempelweit, in sein Ohr fielen Töne, fremd, zerrei-
ßend, himmlisch, und er sagte zu sich: Das ist der
Gesang der Sterne in ihren goldenen Bahnen. End-
lich machten die Schmerzen einer prickelnden Wol-
lust Raum, in welcher er seinen Körper wieder
zu gewöhnlichem Maaße zusammenschrumpfen fühlte,
während die Riesengestalt wie eine äußere Schaale
oder eine Art von Atmosphäre in luftigen Umrissen
um ihn stehen blieb. Die Finsternisse wichen von
seinen Augen, indem sich große, gelbglänzende Licht-
flächen, wie bei dem Gefühle der Blendung, von
den Aepfeln ablösten und in die Augenwinkel zogen,
wo sie allmählig verschwanden.

Während er so wieder sehend wurde, sang ein
feiner, süßstimmiger Chor um ihn her -- er wußte
nicht, waren es die Vögel allein, oder gaben auch
Zweige, Stauden und Gräser ihren Beitrag? --
ganz vernehmlich:

Wir dürfen's ihm sagen,
Er muß es ertragen;

Schmerzen trieb die neue in ihm aufgewachte Kraft
ſeine Gliedmaßen zu ungeheurer Größe, daß er
meinte, er müſſe an den Himmel rühren. Die
Wände ſeines Hauptes und ſeiner Bruſt wurden
tempelweit, in ſein Ohr fielen Töne, fremd, zerrei-
ßend, himmliſch, und er ſagte zu ſich: Das iſt der
Geſang der Sterne in ihren goldenen Bahnen. End-
lich machten die Schmerzen einer prickelnden Wol-
luſt Raum, in welcher er ſeinen Körper wieder
zu gewöhnlichem Maaße zuſammenſchrumpfen fühlte,
während die Rieſengeſtalt wie eine äußere Schaale
oder eine Art von Atmosphäre in luftigen Umriſſen
um ihn ſtehen blieb. Die Finſterniſſe wichen von
ſeinen Augen, indem ſich große, gelbglänzende Licht-
flächen, wie bei dem Gefühle der Blendung, von
den Aepfeln ablöſten und in die Augenwinkel zogen,
wo ſie allmählig verſchwanden.

Während er ſo wieder ſehend wurde, ſang ein
feiner, ſüßſtimmiger Chor um ihn her — er wußte
nicht, waren es die Vögel allein, oder gaben auch
Zweige, Stauden und Gräſer ihren Beitrag? —
ganz vernehmlich:

Wir dürfen’s ihm ſagen,
Er muß es ertragen;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0173" n="159"/>
Schmerzen trieb die neue in ihm aufgewachte <hi rendition="#g">Kraft</hi><lb/>
&#x017F;eine Gliedmaßen zu ungeheurer Größe, daß er<lb/>
meinte, er mü&#x017F;&#x017F;e an den Himmel rühren. Die<lb/>
Wände &#x017F;eines Hauptes und &#x017F;einer Bru&#x017F;t wurden<lb/>
tempelweit, in &#x017F;ein Ohr fielen Töne, fremd, zerrei-<lb/>
ßend, himmli&#x017F;ch, und er &#x017F;agte zu &#x017F;ich: Das i&#x017F;t der<lb/>
Ge&#x017F;ang der Sterne in ihren goldenen Bahnen. End-<lb/>
lich machten die Schmerzen einer prickelnden Wol-<lb/>
lu&#x017F;t Raum, in welcher er &#x017F;einen Körper wieder<lb/>
zu gewöhnlichem Maaße zu&#x017F;ammen&#x017F;chrumpfen fühlte,<lb/>
während die Rie&#x017F;enge&#x017F;talt wie eine äußere Schaale<lb/>
oder eine Art von Atmosphäre in luftigen Umri&#x017F;&#x017F;en<lb/>
um ihn &#x017F;tehen blieb. Die Fin&#x017F;terni&#x017F;&#x017F;e wichen von<lb/>
&#x017F;einen Augen, indem &#x017F;ich große, gelbglänzende Licht-<lb/>
flächen, wie bei dem Gefühle der Blendung, von<lb/>
den Aepfeln ablö&#x017F;ten und in die Augenwinkel zogen,<lb/>
wo &#x017F;ie allmählig ver&#x017F;chwanden.</p><lb/>
          <p>Während er &#x017F;o wieder &#x017F;ehend wurde, &#x017F;ang ein<lb/>
feiner, &#x017F;üß&#x017F;timmiger Chor um ihn her &#x2014; er wußte<lb/>
nicht, waren es die Vögel allein, oder gaben auch<lb/>
Zweige, Stauden und Grä&#x017F;er ihren Beitrag? &#x2014;<lb/>
ganz vernehmlich:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Wir dürfen&#x2019;s ihm &#x017F;agen,</l><lb/>
            <l>Er muß es ertragen;</l><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0173] Schmerzen trieb die neue in ihm aufgewachte Kraft ſeine Gliedmaßen zu ungeheurer Größe, daß er meinte, er müſſe an den Himmel rühren. Die Wände ſeines Hauptes und ſeiner Bruſt wurden tempelweit, in ſein Ohr fielen Töne, fremd, zerrei- ßend, himmliſch, und er ſagte zu ſich: Das iſt der Geſang der Sterne in ihren goldenen Bahnen. End- lich machten die Schmerzen einer prickelnden Wol- luſt Raum, in welcher er ſeinen Körper wieder zu gewöhnlichem Maaße zuſammenſchrumpfen fühlte, während die Rieſengeſtalt wie eine äußere Schaale oder eine Art von Atmosphäre in luftigen Umriſſen um ihn ſtehen blieb. Die Finſterniſſe wichen von ſeinen Augen, indem ſich große, gelbglänzende Licht- flächen, wie bei dem Gefühle der Blendung, von den Aepfeln ablöſten und in die Augenwinkel zogen, wo ſie allmählig verſchwanden. Während er ſo wieder ſehend wurde, ſang ein feiner, ſüßſtimmiger Chor um ihn her — er wußte nicht, waren es die Vögel allein, oder gaben auch Zweige, Stauden und Gräſer ihren Beitrag? — ganz vernehmlich: Wir dürfen’s ihm ſagen, Er muß es ertragen;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/173
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/173>, abgerufen am 22.11.2024.