warf sie das grüne Särglein dazu, und deckte dann ein Tuch über das Hingeworfene. Sie fand das Blatt mit den Versen Oswald's an sie; da brachen noch einmal heftige Thränenfluthen aus ihren Augen; es waren die letzten Zähren, welche sie heute Abend weinte. Dann hielt sie das Papier an die Flamme der Lampe, und sah kalt es ver- lodern. Das Tuch, welches der Jäger ihr geschenkt, zerschnitt sie und ließ die Stücke zu Boden fallen, da, wo die Asche von dem Papiere lag. Nun nahm sie an sich entsühnende Handlungen vor. Sie wusch ihre Finger, die sie auf seinen Mund hatte legen müssen. Dann wusch sie die Lippen, welche seine Küsse geduldet und wiedergegeben hatten.
Alle diese Handlungen verrichtete sie schweigend, nicht einmal einen Seufzer stieß sie aus. Ihr Schmerz war so groß, daß er auch nicht durch ein Selbstgespräch sich erleichtern mochte. -- In den Kelch der Rose, den der süßeste Hauch so eben aufgeschmeichelt, war ein ätzendes Gift getropft worden -- fühlt Ihr, wie die Rose in ihren keu- schesten Tiefen zucken mußte? -- Fragt Ihr mich, ob sie dem glauben konnte, was der alte Bauer ihr gesagt, so antworte ich, daß ich es nicht weiß.
warf ſie das grüne Särglein dazu, und deckte dann ein Tuch über das Hingeworfene. Sie fand das Blatt mit den Verſen Oswald’s an ſie; da brachen noch einmal heftige Thränenfluthen aus ihren Augen; es waren die letzten Zähren, welche ſie heute Abend weinte. Dann hielt ſie das Papier an die Flamme der Lampe, und ſah kalt es ver- lodern. Das Tuch, welches der Jäger ihr geſchenkt, zerſchnitt ſie und ließ die Stücke zu Boden fallen, da, wo die Aſche von dem Papiere lag. Nun nahm ſie an ſich entſühnende Handlungen vor. Sie wuſch ihre Finger, die ſie auf ſeinen Mund hatte legen müſſen. Dann wuſch ſie die Lippen, welche ſeine Küſſe geduldet und wiedergegeben hatten.
Alle dieſe Handlungen verrichtete ſie ſchweigend, nicht einmal einen Seufzer ſtieß ſie aus. Ihr Schmerz war ſo groß, daß er auch nicht durch ein Selbſtgeſpräch ſich erleichtern mochte. — In den Kelch der Roſe, den der ſüßeſte Hauch ſo eben aufgeſchmeichelt, war ein ätzendes Gift getropft worden — fühlt Ihr, wie die Roſe in ihren keu- ſcheſten Tiefen zucken mußte? — Fragt Ihr mich, ob ſie dem glauben konnte, was der alte Bauer ihr geſagt, ſo antworte ich, daß ich es nicht weiß.
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warf ſie das grüne Särglein dazu, und deckte dann
ein Tuch über das Hingeworfene. Sie fand das
Blatt mit den Verſen Oswald’s an ſie; da brachen
noch einmal heftige Thränenfluthen aus ihren
Augen; es waren die letzten Zähren, welche ſie
heute Abend weinte. Dann hielt ſie das Papier
an die Flamme der Lampe, und ſah kalt es ver-
lodern. Das Tuch, welches der Jäger ihr geſchenkt,
zerſchnitt ſie und ließ die Stücke zu Boden fallen,
da, wo die Aſche von dem Papiere lag. Nun nahm
ſie an ſich entſühnende Handlungen vor. Sie
wuſch ihre Finger, die ſie auf ſeinen Mund hatte
legen müſſen. Dann wuſch ſie die Lippen, welche
ſeine Küſſe geduldet und wiedergegeben hatten.
Alle dieſe Handlungen verrichtete ſie ſchweigend,
nicht einmal einen Seufzer ſtieß ſie aus. Ihr
Schmerz war ſo groß, daß er auch nicht durch ein
Selbſtgeſpräch ſich erleichtern mochte. — In den
Kelch der Roſe, den der ſüßeſte Hauch ſo eben
aufgeſchmeichelt, war ein ätzendes Gift getropft
worden — fühlt Ihr, wie die Roſe in ihren keu-
ſcheſten Tiefen zucken mußte? — Fragt Ihr mich,
ob ſie dem glauben konnte, was der alte Bauer
ihr geſagt, ſo antworte ich, daß ich es nicht weiß.
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/149>, abgerufen am 22.11.2024.
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