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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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Münchhausen abermals zurück, um wenigstens noch
eine Stunde Morgenruhe zu genießen. Es ist
doch übel, wenn man bei den Leuten allzuviel
Ideen anregt, sagte er vor dem Einschlafen.

Aber bald erhob sich unter seinem Fenster das
Getöse einer eifrig arbeitenden Säge; der Ton,
welcher vom erschrecklichsten Schrillen in einem
unausgebildeten Sopran zum schauderhaftesten
Schnurren in einem verdorbenen Alt regelmäßig
sich senkend, bekanntlich auch den Taubsten erwecken
kann. Münchhausen sagte anfangs zu sich selbst:
Es ist nur Täuschung, und stopfte sich tief in die
Kissen hinein: dann sagte er: Es ist zwar keine
Täuschung, aber ich will diesen sinnlichen Eindruck
durch Abstraction überwinden. -- Er begann daher
von dem Schrillen und Schnurren seine Gedanken
mit Macht seitwärts zu führen, und würde viel-
leicht bei der großen geistigen Kraft, die ihm bei-
wohnte, des Sinneneindrucks Meister geworden
seyn, wenn sich nicht plötzlich mit dem Sägege-
räusche ein heftiges Rumoren über seinem Haupte
verbündet hätte. Es ließ sich nämlich ein Gepol-
ter über seiner Stube vernehmen, als ob der ganze
Söller umgekehrt würde. Zwischen Sägegeräusch

Münchhauſen abermals zurück, um wenigſtens noch
eine Stunde Morgenruhe zu genießen. Es iſt
doch übel, wenn man bei den Leuten allzuviel
Ideen anregt, ſagte er vor dem Einſchlafen.

Aber bald erhob ſich unter ſeinem Fenſter das
Getöſe einer eifrig arbeitenden Säge; der Ton,
welcher vom erſchrecklichſten Schrillen in einem
unausgebildeten Sopran zum ſchauderhafteſten
Schnurren in einem verdorbenen Alt regelmäßig
ſich ſenkend, bekanntlich auch den Taubſten erwecken
kann. Münchhauſen ſagte anfangs zu ſich ſelbſt:
Es iſt nur Täuſchung, und ſtopfte ſich tief in die
Kiſſen hinein: dann ſagte er: Es iſt zwar keine
Täuſchung, aber ich will dieſen ſinnlichen Eindruck
durch Abſtraction überwinden. — Er begann daher
von dem Schrillen und Schnurren ſeine Gedanken
mit Macht ſeitwärts zu führen, und würde viel-
leicht bei der großen geiſtigen Kraft, die ihm bei-
wohnte, des Sinneneindrucks Meiſter geworden
ſeyn, wenn ſich nicht plötzlich mit dem Sägege-
räuſche ein heftiges Rumoren über ſeinem Haupte
verbündet hätte. Es ließ ſich nämlich ein Gepol-
ter über ſeiner Stube vernehmen, als ob der ganze
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[80/0098] Münchhauſen abermals zurück, um wenigſtens noch eine Stunde Morgenruhe zu genießen. Es iſt doch übel, wenn man bei den Leuten allzuviel Ideen anregt, ſagte er vor dem Einſchlafen. Aber bald erhob ſich unter ſeinem Fenſter das Getöſe einer eifrig arbeitenden Säge; der Ton, welcher vom erſchrecklichſten Schrillen in einem unausgebildeten Sopran zum ſchauderhafteſten Schnurren in einem verdorbenen Alt regelmäßig ſich ſenkend, bekanntlich auch den Taubſten erwecken kann. Münchhauſen ſagte anfangs zu ſich ſelbſt: Es iſt nur Täuſchung, und ſtopfte ſich tief in die Kiſſen hinein: dann ſagte er: Es iſt zwar keine Täuſchung, aber ich will dieſen ſinnlichen Eindruck durch Abſtraction überwinden. — Er begann daher von dem Schrillen und Schnurren ſeine Gedanken mit Macht ſeitwärts zu führen, und würde viel- leicht bei der großen geiſtigen Kraft, die ihm bei- wohnte, des Sinneneindrucks Meiſter geworden ſeyn, wenn ſich nicht plötzlich mit dem Sägege- räuſche ein heftiges Rumoren über ſeinem Haupte verbündet hätte. Es ließ ſich nämlich ein Gepol- ter über ſeiner Stube vernehmen, als ob der ganze Söller umgekehrt würde. Zwiſchen Sägegeräuſch

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/98>, abgerufen am 23.12.2024.