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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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Uebrigens wußte sie kaum noch, ob sie auf
der Erde wandelte. Sie dachte und sah nur den
Prätendenten von Hechelkram, den Altar der Freund-
schaft und das ihr winkende Stiftskreuz. Der kleine
Haushalt litt freilich sehr unter dieser glücklichen
Entwirrung schwieriger Verhältnisse. Auf die Suppe
mußte nach und nach ganz verzichtet werden, da sie
niemals zu genießen stand, oder der Schulmeister
hatte mit seiner schwarzen auszuhelfen. Alles
Fleisch aber stahl regelmäßig die Katze, weil der
masquirte Fürst unersättlich war. Der alte Baron
wünschte sich hundertmal des Tages über verdrieß-
lich seine Lisbeth zurück. Wo er die Katze, die
vermeintliche Räuberin der Speisen sah, schlug er
nach ihr; ach, er wußte nicht, daß Karlos der
Schmetterling die Schlange war, die er am Busen
nährte. Nannte nun gar seine Tochter diesen Na-
men (und sie nannte seit der großen Entdeckung
Buttervogel'n nie anders) so wollte er, nachdem er
einigemale über den blühenden Tropus gelacht hatte,
schier verzweifeln, denn er begann zu fürchten, daß
sein armes Kind sich mit starken Schritten einer
unglückseligen Verwandlung nahe.



Uebrigens wußte ſie kaum noch, ob ſie auf
der Erde wandelte. Sie dachte und ſah nur den
Prätendenten von Hechelkram, den Altar der Freund-
ſchaft und das ihr winkende Stiftskreuz. Der kleine
Haushalt litt freilich ſehr unter dieſer glücklichen
Entwirrung ſchwieriger Verhältniſſe. Auf die Suppe
mußte nach und nach ganz verzichtet werden, da ſie
niemals zu genießen ſtand, oder der Schulmeiſter
hatte mit ſeiner ſchwarzen auszuhelfen. Alles
Fleiſch aber ſtahl regelmäßig die Katze, weil der
masquirte Fürſt unerſättlich war. Der alte Baron
wünſchte ſich hundertmal des Tages über verdrieß-
lich ſeine Lisbeth zurück. Wo er die Katze, die
vermeintliche Räuberin der Speiſen ſah, ſchlug er
nach ihr; ach, er wußte nicht, daß Karlos der
Schmetterling die Schlange war, die er am Buſen
nährte. Nannte nun gar ſeine Tochter dieſen Na-
men (und ſie nannte ſeit der großen Entdeckung
Buttervogel’n nie anders) ſo wollte er, nachdem er
einigemale über den blühenden Tropus gelacht hatte,
ſchier verzweifeln, denn er begann zu fürchten, daß
ſein armes Kind ſich mit ſtarken Schritten einer
unglückſeligen Verwandlung nahe.



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[44/0062] Uebrigens wußte ſie kaum noch, ob ſie auf der Erde wandelte. Sie dachte und ſah nur den Prätendenten von Hechelkram, den Altar der Freund- ſchaft und das ihr winkende Stiftskreuz. Der kleine Haushalt litt freilich ſehr unter dieſer glücklichen Entwirrung ſchwieriger Verhältniſſe. Auf die Suppe mußte nach und nach ganz verzichtet werden, da ſie niemals zu genießen ſtand, oder der Schulmeiſter hatte mit ſeiner ſchwarzen auszuhelfen. Alles Fleiſch aber ſtahl regelmäßig die Katze, weil der masquirte Fürſt unerſättlich war. Der alte Baron wünſchte ſich hundertmal des Tages über verdrieß- lich ſeine Lisbeth zurück. Wo er die Katze, die vermeintliche Räuberin der Speiſen ſah, ſchlug er nach ihr; ach, er wußte nicht, daß Karlos der Schmetterling die Schlange war, die er am Buſen nährte. Nannte nun gar ſeine Tochter dieſen Na- men (und ſie nannte ſeit der großen Entdeckung Buttervogel’n nie anders) ſo wollte er, nachdem er einigemale über den blühenden Tropus gelacht hatte, ſchier verzweifeln, denn er begann zu fürchten, daß ſein armes Kind ſich mit ſtarken Schritten einer unglückſeligen Verwandlung nahe.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/62>, abgerufen am 23.12.2024.