haut auf ihn mit einem Degen ein. Der Dieb -- Sünde giebt keinen Muth -- läßt mich fallen und läuft davon. Ich falle in den Canal, jener unbe- zahlbare Retter springt, immer den Degen in der Faust, mir nach, holt mich heraus, ruft: Wie, ein nacktes Kind? und trägt mich, dem von diesen jähen Abwechselungen das Haupt schwindelt, zu einer Laterne hin, die etwa hundert Schritte von der Stelle am Canale brannte. Bei dem Schim- mer dieser Blendlaterne sehe ich meinem Retter in das Antlitz, und -- wer faßt's, wer glaubt's, wer sagt's, was ich empfinde? -- Es ist -- -- mein Vater, mein sogenannter Vater!
Was die Furcht und der Jammer nicht ge- konnt, die Freude vollbringt es. Ich finde die Sprache wieder, und, zwar noch immer etwas meckernd, aber doch verständlich, ist: Vater! Vater! Dein Kind! mein erstes Wort. Mit heißen Thrä- nen stürze ich an seine Brust, er erkennt mich, wie ich ihn erkannt, und -- doch schweige, Lippe! falle, Vorhang über diese unbeschreibliche Scene!
Stumm vor Rührung steckt er mich ohne Wei- teres wieder in seine linke Rocktasche. Darin finde ich ihn ganz. Alle liebe Erinnerungen gehen mir
Immermann's Münchhausen. 2. Th. 14
haut auf ihn mit einem Degen ein. Der Dieb — Sünde giebt keinen Muth — läßt mich fallen und läuft davon. Ich falle in den Canal, jener unbe- zahlbare Retter ſpringt, immer den Degen in der Fauſt, mir nach, holt mich heraus, ruft: Wie, ein nacktes Kind? und trägt mich, dem von dieſen jähen Abwechſelungen das Haupt ſchwindelt, zu einer Laterne hin, die etwa hundert Schritte von der Stelle am Canale brannte. Bei dem Schim- mer dieſer Blendlaterne ſehe ich meinem Retter in das Antlitz, und — wer faßt’s, wer glaubt’s, wer ſagt’s, was ich empfinde? — Es iſt — — mein Vater, mein ſogenannter Vater!
Was die Furcht und der Jammer nicht ge- konnt, die Freude vollbringt es. Ich finde die Sprache wieder, und, zwar noch immer etwas meckernd, aber doch verſtändlich, iſt: Vater! Vater! Dein Kind! mein erſtes Wort. Mit heißen Thrä- nen ſtürze ich an ſeine Bruſt, er erkennt mich, wie ich ihn erkannt, und — doch ſchweige, Lippe! falle, Vorhang über dieſe unbeſchreibliche Scene!
Stumm vor Rührung ſteckt er mich ohne Wei- teres wieder in ſeine linke Rocktaſche. Darin finde ich ihn ganz. Alle liebe Erinnerungen gehen mir
Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 14
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haut auf ihn mit einem Degen ein. Der Dieb —
Sünde giebt keinen Muth — läßt mich fallen und
läuft davon. Ich falle in den Canal, jener unbe-
zahlbare Retter ſpringt, immer den Degen in der
Fauſt, mir nach, holt mich heraus, ruft: Wie,
ein nacktes Kind? und trägt mich, dem von dieſen
jähen Abwechſelungen das Haupt ſchwindelt, zu
einer Laterne hin, die etwa hundert Schritte von
der Stelle am Canale brannte. Bei dem Schim-
mer dieſer Blendlaterne ſehe ich meinem Retter
in das Antlitz, und — wer faßt’s, wer glaubt’s,
wer ſagt’s, was ich empfinde? — Es iſt — —
mein Vater, mein ſogenannter Vater!
Was die Furcht und der Jammer nicht ge-
konnt, die Freude vollbringt es. Ich finde die
Sprache wieder, und, zwar noch immer etwas
meckernd, aber doch verſtändlich, iſt: Vater! Vater!
Dein Kind! mein erſtes Wort. Mit heißen Thrä-
nen ſtürze ich an ſeine Bruſt, er erkennt mich, wie
ich ihn erkannt, und — doch ſchweige, Lippe! falle,
Vorhang über dieſe unbeſchreibliche Scene!
Stumm vor Rührung ſteckt er mich ohne Wei-
teres wieder in ſeine linke Rocktaſche. Darin finde
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Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 14
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/227>, abgerufen am 28.11.2024.
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