eines Feigenbaumes zu tragen, worin sie durch einen vorgestopften Pflock verspündet wurde. Man theilte das freudige Ereigniß bei der nächsten Zu- sammenkunft den Gattinnen mit, welche nicht ver- fehlten, an den Hoffnungen des Vereins den leben- digsten Antheil zu nehmen. Auf diese Weise erhielt ich von der Sache Kunde. Wir Zicklein und Böck- lein mußten nun den Ort, wo das Pferd des großmüthigen Engländers gestanden, rein scharren, die erwachsene Heerde stürzte aber den Leichnam des todten Geiers in einen tiefen Abgrund, um von den beiden eingesperrten Zöglingen der Sitt- lichkeit alle Anreizungen zum Laster zu entfernen.
In den folgenden Tagen begannen nun Solon und Plato, unterstützt jezuweilen von den übrigen Mitgliedern des Vereins, ihre Reden und Ermah- nungen an das Trygäosroß und die blaue Schwär- merin. Solon lag vor der Felsritze und hielt seine Schnauze an ein federspulenkleines Löchlein, welches der Kiesel unbedeckt ließ; Plato stellte sich an dem Feigenbaume auf die Hinterfüße, hielt sich mit den Vorderfüßen am Stamme fest und legte das Honigmaul gegen das Astloch, um sich ver- ständlich zu machen. In dieser Stellung oder Lage
Immermann's Münchhausen. 2. Th. 11
eines Feigenbaumes zu tragen, worin ſie durch einen vorgeſtopften Pflock verſpündet wurde. Man theilte das freudige Ereigniß bei der nächſten Zu- ſammenkunft den Gattinnen mit, welche nicht ver- fehlten, an den Hoffnungen des Vereins den leben- digſten Antheil zu nehmen. Auf dieſe Weiſe erhielt ich von der Sache Kunde. Wir Zicklein und Böck- lein mußten nun den Ort, wo das Pferd des großmüthigen Engländers geſtanden, rein ſcharren, die erwachſene Heerde ſtürzte aber den Leichnam des todten Geiers in einen tiefen Abgrund, um von den beiden eingeſperrten Zöglingen der Sitt- lichkeit alle Anreizungen zum Laſter zu entfernen.
In den folgenden Tagen begannen nun Solon und Plato, unterſtützt jezuweilen von den übrigen Mitgliedern des Vereins, ihre Reden und Ermah- nungen an das Trygäosroß und die blaue Schwär- merin. Solon lag vor der Felsritze und hielt ſeine Schnauze an ein federſpulenkleines Löchlein, welches der Kieſel unbedeckt ließ; Plato ſtellte ſich an dem Feigenbaume auf die Hinterfüße, hielt ſich mit den Vorderfüßen am Stamme feſt und legte das Honigmaul gegen das Aſtloch, um ſich ver- ſtändlich zu machen. In dieſer Stellung oder Lage
Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 11
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0179"n="161"/>
eines Feigenbaumes zu tragen, worin ſie durch<lb/>
einen vorgeſtopften Pflock verſpündet wurde. Man<lb/>
theilte das freudige Ereigniß bei der nächſten Zu-<lb/>ſammenkunft den Gattinnen mit, welche nicht ver-<lb/>
fehlten, an den Hoffnungen des Vereins den leben-<lb/>
digſten Antheil zu nehmen. Auf dieſe Weiſe erhielt<lb/>
ich von der Sache Kunde. Wir Zicklein und Böck-<lb/>
lein mußten nun den Ort, wo das Pferd des<lb/>
großmüthigen Engländers geſtanden, rein ſcharren,<lb/>
die erwachſene Heerde ſtürzte aber den Leichnam<lb/>
des todten Geiers in einen tiefen Abgrund, um<lb/>
von den beiden eingeſperrten Zöglingen der Sitt-<lb/>
lichkeit alle Anreizungen zum Laſter zu entfernen.</p><lb/><p>In den folgenden Tagen begannen nun Solon<lb/>
und Plato, unterſtützt jezuweilen von den übrigen<lb/>
Mitgliedern des Vereins, ihre Reden und Ermah-<lb/>
nungen an das Trygäosroß und die blaue Schwär-<lb/>
merin. Solon lag vor der Felsritze und hielt<lb/>ſeine Schnauze an ein federſpulenkleines Löchlein,<lb/>
welches der Kieſel unbedeckt ließ; Plato ſtellte ſich<lb/>
an dem Feigenbaume auf die Hinterfüße, hielt ſich<lb/>
mit den Vorderfüßen am Stamme feſt und legte<lb/>
das Honigmaul gegen das Aſtloch, um ſich ver-<lb/>ſtändlich zu machen. In dieſer Stellung oder Lage<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 11</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[161/0179]
eines Feigenbaumes zu tragen, worin ſie durch
einen vorgeſtopften Pflock verſpündet wurde. Man
theilte das freudige Ereigniß bei der nächſten Zu-
ſammenkunft den Gattinnen mit, welche nicht ver-
fehlten, an den Hoffnungen des Vereins den leben-
digſten Antheil zu nehmen. Auf dieſe Weiſe erhielt
ich von der Sache Kunde. Wir Zicklein und Böck-
lein mußten nun den Ort, wo das Pferd des
großmüthigen Engländers geſtanden, rein ſcharren,
die erwachſene Heerde ſtürzte aber den Leichnam
des todten Geiers in einen tiefen Abgrund, um
von den beiden eingeſperrten Zöglingen der Sitt-
lichkeit alle Anreizungen zum Laſter zu entfernen.
In den folgenden Tagen begannen nun Solon
und Plato, unterſtützt jezuweilen von den übrigen
Mitgliedern des Vereins, ihre Reden und Ermah-
nungen an das Trygäosroß und die blaue Schwär-
merin. Solon lag vor der Felsritze und hielt
ſeine Schnauze an ein federſpulenkleines Löchlein,
welches der Kieſel unbedeckt ließ; Plato ſtellte ſich
an dem Feigenbaume auf die Hinterfüße, hielt ſich
mit den Vorderfüßen am Stamme feſt und legte
das Honigmaul gegen das Aſtloch, um ſich ver-
ſtändlich zu machen. In dieſer Stellung oder Lage
Immermann’s Münchhauſen. 2. Th. 11
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/179>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.