hoffnungsvollen Lämmer, es darauf zu wagen, ich verschmachte sonst, worauf sich unter der Heerde eine ziemlich lebhafte Verhandlung über die Zuläs- sigkeit oder Nichtzulässigkeit des Säugens in meinem Zustande ergab, welche in den Beschluß auslief, daß mir ein Weniges an Milch wohl verstattet werden möge. Froh über diese Entscheidung kroch ich zur barmherzigen Sisi und sog die ersehnte, heilsame Nahrung in mich. Als ich aber im besten Saugen war, wurde ich schon wieder abgestoßen, weil ein Mehreres, wie die um mich besorgten Zie- gen ängstlich ausriesen, mir sicherlich schaden würde. Ich war daher nur halbsatt geworden, indessen doch vor dem Hungertode nunmehr geschützt.
Ueber meine Nachtruhe entstand darauf eine zweite Verhandlung, welche ein Streit zu werden drohte, denn die Ziegen waren gegen mich so liebevoll gesinnt, daß Jede mich in ihren Pfoten erwärmen und Keine mich der Andern gönnen wollte. Ich mußte voraussehen bei diesem Liebesfeuer die ganze Nacht über ungewärmt zu bleiben, rief daher: Wohlthätige und rechtschaffene Ziegen, theilt Euch in Euren kleinen Lyriker, laßt ihn bei Jeder von Euch eine halbe Stunde liegen! -- Dieser Vorschlag
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hoffnungsvollen Lämmer, es darauf zu wagen, ich verſchmachte ſonſt, worauf ſich unter der Heerde eine ziemlich lebhafte Verhandlung über die Zuläſ- ſigkeit oder Nichtzuläſſigkeit des Säugens in meinem Zuſtande ergab, welche in den Beſchluß auslief, daß mir ein Weniges an Milch wohl verſtattet werden möge. Froh über dieſe Entſcheidung kroch ich zur barmherzigen Siſi und ſog die erſehnte, heilſame Nahrung in mich. Als ich aber im beſten Saugen war, wurde ich ſchon wieder abgeſtoßen, weil ein Mehreres, wie die um mich beſorgten Zie- gen ängſtlich ausrieſen, mir ſicherlich ſchaden würde. Ich war daher nur halbſatt geworden, indeſſen doch vor dem Hungertode nunmehr geſchützt.
Ueber meine Nachtruhe entſtand darauf eine zweite Verhandlung, welche ein Streit zu werden drohte, denn die Ziegen waren gegen mich ſo liebevoll geſinnt, daß Jede mich in ihren Pfoten erwärmen und Keine mich der Andern gönnen wollte. Ich mußte vorausſehen bei dieſem Liebesfeuer die ganze Nacht über ungewärmt zu bleiben, rief daher: Wohlthätige und rechtſchaffene Ziegen, theilt Euch in Euren kleinen Lyriker, laßt ihn bei Jeder von Euch eine halbe Stunde liegen! — Dieſer Vorſchlag
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hoffnungsvollen Lämmer, es darauf zu wagen, ich
verſchmachte ſonſt, worauf ſich unter der Heerde
eine ziemlich lebhafte Verhandlung über die Zuläſ-
ſigkeit oder Nichtzuläſſigkeit des Säugens in meinem
Zuſtande ergab, welche in den Beſchluß auslief,
daß mir ein Weniges an Milch wohl verſtattet
werden möge. Froh über dieſe Entſcheidung kroch
ich zur barmherzigen Siſi und ſog die erſehnte,
heilſame Nahrung in mich. Als ich aber im beſten
Saugen war, wurde ich ſchon wieder abgeſtoßen,
weil ein Mehreres, wie die um mich beſorgten Zie-
gen ängſtlich ausrieſen, mir ſicherlich ſchaden würde.
Ich war daher nur halbſatt geworden, indeſſen doch
vor dem Hungertode nunmehr geſchützt.
Ueber meine Nachtruhe entſtand darauf eine
zweite Verhandlung, welche ein Streit zu werden
drohte, denn die Ziegen waren gegen mich ſo liebevoll
geſinnt, daß Jede mich in ihren Pfoten erwärmen
und Keine mich der Andern gönnen wollte. Ich
mußte vorausſehen bei dieſem Liebesfeuer die ganze
Nacht über ungewärmt zu bleiben, rief daher:
Wohlthätige und rechtſchaffene Ziegen, theilt Euch
in Euren kleinen Lyriker, laßt ihn bei Jeder von
Euch eine halbe Stunde liegen! — Dieſer Vorſchlag
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/149>, abgerufen am 23.12.2024.
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