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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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für die schöne Natur beizubringen, überlegte nur
nicht, daß ich in der linken Rocktasche von der
schönen Natur wenig zu sehen bekam und ihm
daher in meiner Finsterniß auf das Wort glauben
mußte, wenn er stillstehend, oder zwischen seinen
Beinen durchguckend, in welcher Positur die Land-
schaft immer am reizendsten aussieht, von der gött-
lichen Aussicht, von der blauen duftigen Ferne und
dem goldenen Morgen- oder Abendrothe laut
schwärmte. Eine recht verkehrte Erziehung! Ich
bat ihn flehentlich, er möge mich doch wenigstens
in einen seiner Stiefeln stecken, wie die Samojeden
ihre Kinder bei sich führen -- er trug weite Schlapp-
stiefeln mit seidenen Troddeln vorn -- jedoch ver-
gebens. Auch aus den Stiefeln fürchtete er mich
zu verlieren. Meine Lage wurde allgemach uner-
träglich und ich weinte oft die linke Rocktasche
ganz naß.

Eines Tages saß mein Vater mit dem Rücken
gegen einen Oelbaum gelehnt, sah die Sonne
untergehen und war außer sich über ihren purpurnen
Widerschein im Meerbusen von Thessalonich. Sonst
pflegte er bei allem Enthusiasmus die Hände in
der Tasche zu halten, so daß kein Entrinnen ge-

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für die ſchöne Natur beizubringen, überlegte nur
nicht, daß ich in der linken Rocktaſche von der
ſchönen Natur wenig zu ſehen bekam und ihm
daher in meiner Finſterniß auf das Wort glauben
mußte, wenn er ſtillſtehend, oder zwiſchen ſeinen
Beinen durchguckend, in welcher Poſitur die Land-
ſchaft immer am reizendſten ausſieht, von der gött-
lichen Ausſicht, von der blauen duftigen Ferne und
dem goldenen Morgen- oder Abendrothe laut
ſchwärmte. Eine recht verkehrte Erziehung! Ich
bat ihn flehentlich, er möge mich doch wenigſtens
in einen ſeiner Stiefeln ſtecken, wie die Samojeden
ihre Kinder bei ſich führen — er trug weite Schlapp-
ſtiefeln mit ſeidenen Troddeln vorn — jedoch ver-
gebens. Auch aus den Stiefeln fürchtete er mich
zu verlieren. Meine Lage wurde allgemach uner-
träglich und ich weinte oft die linke Rocktaſche
ganz naß.

Eines Tages ſaß mein Vater mit dem Rücken
gegen einen Oelbaum gelehnt, ſah die Sonne
untergehen und war außer ſich über ihren purpurnen
Widerſchein im Meerbuſen von Theſſalonich. Sonſt
pflegte er bei allem Enthuſiasmus die Hände in
der Taſche zu halten, ſo daß kein Entrinnen ge-

8*
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[115/0133] für die ſchöne Natur beizubringen, überlegte nur nicht, daß ich in der linken Rocktaſche von der ſchönen Natur wenig zu ſehen bekam und ihm daher in meiner Finſterniß auf das Wort glauben mußte, wenn er ſtillſtehend, oder zwiſchen ſeinen Beinen durchguckend, in welcher Poſitur die Land- ſchaft immer am reizendſten ausſieht, von der gött- lichen Ausſicht, von der blauen duftigen Ferne und dem goldenen Morgen- oder Abendrothe laut ſchwärmte. Eine recht verkehrte Erziehung! Ich bat ihn flehentlich, er möge mich doch wenigſtens in einen ſeiner Stiefeln ſtecken, wie die Samojeden ihre Kinder bei ſich führen — er trug weite Schlapp- ſtiefeln mit ſeidenen Troddeln vorn — jedoch ver- gebens. Auch aus den Stiefeln fürchtete er mich zu verlieren. Meine Lage wurde allgemach uner- träglich und ich weinte oft die linke Rocktaſche ganz naß. Eines Tages ſaß mein Vater mit dem Rücken gegen einen Oelbaum gelehnt, ſah die Sonne untergehen und war außer ſich über ihren purpurnen Widerſchein im Meerbuſen von Theſſalonich. Sonſt pflegte er bei allem Enthuſiasmus die Hände in der Taſche zu halten, ſo daß kein Entrinnen ge- 8*

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/133>, abgerufen am 28.11.2024.