Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

aus meinem Munde nie ein unwahres Wort gegan-
gen ist, mit einer einzigen Ausnahme, die aber
sofort sich bitter an mir rächte. Lange Zeit konnte
ich der Wahrheit oder gewisser Wahrheiten nicht
denken, ohne daß mir Honigkuchen, Rosinen und
Mandelkerne und Bamberger Pflaumen einfielen,
endlich erhob ich mich freilich zu gereinigteren
Vorstellungen.

Was aber die einzige Lüge meines Lebens, und
ihre Folgen betrifft, so ging es damit folgender-
maßen zu. Ich sitze eines Tages in meinem
Zimmer am Schreibepult und habe eine sehr noth-
wendige Arbeit vor. Der Bediente meldet mir
einen Besuch. Geh' hinaus, sage ich, ich wäre
nicht zu Hause. Der Herr wäre nicht zu Hause,
sagt er draußen. So wie der Mensch seine Bot-
schaft ausgerichtet hat, und ich höre, daß mein
Besuch abzieht, spüre ich eine Unruhe, die mich
am Pult nicht weilen läßt; ich muß aufspringen,
es wird mir heiß, es wird mir kalt, jetzt wird
mir so, dann wird mir so; der Rhabarber fällt
mir ein aus meinen Jugendjahren und dessen alle-
gorische Deutung, die Phantasie tritt in ihre unge-
heuren Rechte, die geheimen Bezüge zwischen Seele

Immermann's Münchhausen 1. Th. 6

aus meinem Munde nie ein unwahres Wort gegan-
gen iſt, mit einer einzigen Ausnahme, die aber
ſofort ſich bitter an mir rächte. Lange Zeit konnte
ich der Wahrheit oder gewiſſer Wahrheiten nicht
denken, ohne daß mir Honigkuchen, Roſinen und
Mandelkerne und Bamberger Pflaumen einfielen,
endlich erhob ich mich freilich zu gereinigteren
Vorſtellungen.

Was aber die einzige Lüge meines Lebens, und
ihre Folgen betrifft, ſo ging es damit folgender-
maßen zu. Ich ſitze eines Tages in meinem
Zimmer am Schreibepult und habe eine ſehr noth-
wendige Arbeit vor. Der Bediente meldet mir
einen Beſuch. Geh’ hinaus, ſage ich, ich wäre
nicht zu Hauſe. Der Herr wäre nicht zu Hauſe,
ſagt er draußen. So wie der Menſch ſeine Bot-
ſchaft ausgerichtet hat, und ich höre, daß mein
Beſuch abzieht, ſpüre ich eine Unruhe, die mich
am Pult nicht weilen läßt; ich muß aufſpringen,
es wird mir heiß, es wird mir kalt, jetzt wird
mir ſo, dann wird mir ſo; der Rhabarber fällt
mir ein aus meinen Jugendjahren und deſſen alle-
goriſche Deutung, die Phantaſie tritt in ihre unge-
heuren Rechte, die geheimen Bezüge zwiſchen Seele

Immermann’s Münchhauſen 1. Th. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0089" n="81"/>
aus meinem Munde nie ein unwahres Wort gegan-<lb/>
gen i&#x017F;t, mit einer einzigen Ausnahme, die aber<lb/>
&#x017F;ofort &#x017F;ich bitter an mir rächte. Lange Zeit konnte<lb/>
ich der Wahrheit oder gewi&#x017F;&#x017F;er Wahrheiten nicht<lb/>
denken, ohne daß mir Honigkuchen, Ro&#x017F;inen und<lb/>
Mandelkerne und Bamberger Pflaumen einfielen,<lb/>
endlich erhob ich mich freilich zu gereinigteren<lb/>
Vor&#x017F;tellungen.</p><lb/>
          <p>Was aber die einzige Lüge meines Lebens, und<lb/>
ihre Folgen betrifft, &#x017F;o ging es damit folgender-<lb/>
maßen zu. Ich &#x017F;itze eines Tages in meinem<lb/>
Zimmer am Schreibepult und habe eine &#x017F;ehr noth-<lb/>
wendige Arbeit vor. Der Bediente meldet mir<lb/>
einen Be&#x017F;uch. Geh&#x2019; hinaus, &#x017F;age ich, ich wäre<lb/>
nicht zu Hau&#x017F;e. Der Herr wäre nicht zu Hau&#x017F;e,<lb/>
&#x017F;agt er draußen. So wie der Men&#x017F;ch &#x017F;eine Bot-<lb/>
&#x017F;chaft ausgerichtet hat, und ich höre, daß mein<lb/>
Be&#x017F;uch abzieht, &#x017F;püre ich eine Unruhe, die mich<lb/>
am Pult nicht weilen läßt; ich muß auf&#x017F;pringen,<lb/>
es wird mir heiß, es wird mir kalt, jetzt wird<lb/>
mir &#x017F;o, dann wird mir &#x017F;o; der Rhabarber fällt<lb/>
mir ein aus meinen Jugendjahren und de&#x017F;&#x017F;en alle-<lb/>
gori&#x017F;che Deutung, die Phanta&#x017F;ie tritt in ihre unge-<lb/>
heuren Rechte, die geheimen Bezüge zwi&#x017F;chen Seele<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Immermann&#x2019;s Münchhau&#x017F;en 1. Th. 6</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0089] aus meinem Munde nie ein unwahres Wort gegan- gen iſt, mit einer einzigen Ausnahme, die aber ſofort ſich bitter an mir rächte. Lange Zeit konnte ich der Wahrheit oder gewiſſer Wahrheiten nicht denken, ohne daß mir Honigkuchen, Roſinen und Mandelkerne und Bamberger Pflaumen einfielen, endlich erhob ich mich freilich zu gereinigteren Vorſtellungen. Was aber die einzige Lüge meines Lebens, und ihre Folgen betrifft, ſo ging es damit folgender- maßen zu. Ich ſitze eines Tages in meinem Zimmer am Schreibepult und habe eine ſehr noth- wendige Arbeit vor. Der Bediente meldet mir einen Beſuch. Geh’ hinaus, ſage ich, ich wäre nicht zu Hauſe. Der Herr wäre nicht zu Hauſe, ſagt er draußen. So wie der Menſch ſeine Bot- ſchaft ausgerichtet hat, und ich höre, daß mein Beſuch abzieht, ſpüre ich eine Unruhe, die mich am Pult nicht weilen läßt; ich muß aufſpringen, es wird mir heiß, es wird mir kalt, jetzt wird mir ſo, dann wird mir ſo; der Rhabarber fällt mir ein aus meinen Jugendjahren und deſſen alle- goriſche Deutung, die Phantaſie tritt in ihre unge- heuren Rechte, die geheimen Bezüge zwiſchen Seele Immermann’s Münchhauſen 1. Th. 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/89
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/89>, abgerufen am 23.11.2024.