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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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erhielt, wurde mein Charakter, mein Gemüth nicht
verabsäumt. Ganz besonders brachte mir mein
sogenannter Vater den heftigsten moralischen Wider-
willen gegen das Lügen bei, weil der Großvater
durch dieses Laster das ganze Familienglück zerstört
hatte. Er folgte in manchen Dingen seinen eigenen
Grundsätzen, mein sogenannter Vater, und hielt
erstaunlich viel auf die Gewalt der ersten sinnlichen
Eindrücke in der Jugend. Ich bekam daher alle
Sonn- und Feiertage eine allegorische Figur der
Wahrheit, aus Honigkuchenteig gebacken, zu verzeh-
ren, nämlich, eine unbekleidete Person, die Augen
zwei Rosinen, die Nase eine Bamberger Pflaume,
auf der Brust eine Sonne von Mandelkernen.
Hatte ich nun diese Allegorie mit Wollust ver-
speiset, so wurde mir dabei unaufhörlich wieder-
holt: Süß, wie der Honigkuchen, ist die Wahrheit.
Wenn ich mir aber den Magen verdorben hatte,
und Rhabarber einnehmen mußte, so hieß es im
einschärfendsten Tone: Das ist der bittre Trank
der Lüge.

Die Richtigkeit der Methode bewährte sich an
mir. Ich bekam wirklich einen unbesieglichen Ab-
scheu gegen das Lügen und kann wohl sagen, daß

erhielt, wurde mein Charakter, mein Gemüth nicht
verabſäumt. Ganz beſonders brachte mir mein
ſogenannter Vater den heftigſten moraliſchen Wider-
willen gegen das Lügen bei, weil der Großvater
durch dieſes Laſter das ganze Familienglück zerſtört
hatte. Er folgte in manchen Dingen ſeinen eigenen
Grundſätzen, mein ſogenannter Vater, und hielt
erſtaunlich viel auf die Gewalt der erſten ſinnlichen
Eindrücke in der Jugend. Ich bekam daher alle
Sonn- und Feiertage eine allegoriſche Figur der
Wahrheit, aus Honigkuchenteig gebacken, zu verzeh-
ren, nämlich, eine unbekleidete Perſon, die Augen
zwei Roſinen, die Naſe eine Bamberger Pflaume,
auf der Bruſt eine Sonne von Mandelkernen.
Hatte ich nun dieſe Allegorie mit Wolluſt ver-
ſpeiſet, ſo wurde mir dabei unaufhörlich wieder-
holt: Süß, wie der Honigkuchen, iſt die Wahrheit.
Wenn ich mir aber den Magen verdorben hatte,
und Rhabarber einnehmen mußte, ſo hieß es im
einſchärfendſten Tone: Das iſt der bittre Trank
der Lüge.

Die Richtigkeit der Methode bewährte ſich an
mir. Ich bekam wirklich einen unbeſieglichen Ab-
ſcheu gegen das Lügen und kann wohl ſagen, daß

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[80/0088] erhielt, wurde mein Charakter, mein Gemüth nicht verabſäumt. Ganz beſonders brachte mir mein ſogenannter Vater den heftigſten moraliſchen Wider- willen gegen das Lügen bei, weil der Großvater durch dieſes Laſter das ganze Familienglück zerſtört hatte. Er folgte in manchen Dingen ſeinen eigenen Grundſätzen, mein ſogenannter Vater, und hielt erſtaunlich viel auf die Gewalt der erſten ſinnlichen Eindrücke in der Jugend. Ich bekam daher alle Sonn- und Feiertage eine allegoriſche Figur der Wahrheit, aus Honigkuchenteig gebacken, zu verzeh- ren, nämlich, eine unbekleidete Perſon, die Augen zwei Roſinen, die Naſe eine Bamberger Pflaume, auf der Bruſt eine Sonne von Mandelkernen. Hatte ich nun dieſe Allegorie mit Wolluſt ver- ſpeiſet, ſo wurde mir dabei unaufhörlich wieder- holt: Süß, wie der Honigkuchen, iſt die Wahrheit. Wenn ich mir aber den Magen verdorben hatte, und Rhabarber einnehmen mußte, ſo hieß es im einſchärfendſten Tone: Das iſt der bittre Trank der Lüge. Die Richtigkeit der Methode bewährte ſich an mir. Ich bekam wirklich einen unbeſieglichen Ab- ſcheu gegen das Lügen und kann wohl ſagen, daß

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/88>, abgerufen am 23.11.2024.