man nur sehr uneigentlich Vehmgerichte genannt hat, war, wissen Sie, sagte er. Freigerichte waren sie, und Freigerichte blieben sie trotz aller späteren Entstellungen und Mißbräuche, nämlich die Gerichte der ursprünglich freien Markengenossen, die so unbeschränkt auf ihrer Wehr saßen, als der König in seiner Pfalz. Das aber werden Sie nicht wissen, daß in mehreren Districten und so auch nahe hiebei manche Höfe, welche das Freischöffen- recht hatten, immer noch die Tradition dieses Besitzes erhalten, und daß dieselbe vom Vater auf den Sohn, vom Sohn auf den Enkel fortgepflanzt wird. Natürlich ist jetzt die Sache zu einer bloßen Spielerei herabgesunken. Aber Wissende giebt es wirklich noch immer, die von Zeit zu Zeit sich bei den alten Freistühlen versammeln, und durch Mit- theilung der geheimen Erkennungszeichen und des Rituals neue Wissende machen. Anfangs nahmen einige Behörden von dem Hokuspokus Notiz, woll- ten in die Mysterien eindringen, aber das gelang ihnen nicht, die Bauern trieben ihr Wesen nur um so vorsichtiger und blieben gegen alle Anmuthungen, den Sinn der Losung zu verrathen, standhaft. Seitdem bekümmert man sich nicht mehr darum.
man nur ſehr uneigentlich Vehmgerichte genannt hat, war, wiſſen Sie, ſagte er. Freigerichte waren ſie, und Freigerichte blieben ſie trotz aller ſpäteren Entſtellungen und Mißbräuche, nämlich die Gerichte der urſprünglich freien Markengenoſſen, die ſo unbeſchränkt auf ihrer Wehr ſaßen, als der König in ſeiner Pfalz. Das aber werden Sie nicht wiſſen, daß in mehreren Diſtricten und ſo auch nahe hiebei manche Höfe, welche das Freiſchöffen- recht hatten, immer noch die Tradition dieſes Beſitzes erhalten, und daß dieſelbe vom Vater auf den Sohn, vom Sohn auf den Enkel fortgepflanzt wird. Natürlich iſt jetzt die Sache zu einer bloßen Spielerei herabgeſunken. Aber Wiſſende giebt es wirklich noch immer, die von Zeit zu Zeit ſich bei den alten Freiſtühlen verſammeln, und durch Mit- theilung der geheimen Erkennungszeichen und des Rituals neue Wiſſende machen. Anfangs nahmen einige Behörden von dem Hokuspokus Notiz, woll- ten in die Myſterien eindringen, aber das gelang ihnen nicht, die Bauern trieben ihr Weſen nur um ſo vorſichtiger und blieben gegen alle Anmuthungen, den Sinn der Loſung zu verrathen, ſtandhaft. Seitdem bekümmert man ſich nicht mehr darum.
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man nur ſehr uneigentlich Vehmgerichte genannt
hat, war, wiſſen Sie, ſagte er. Freigerichte waren
ſie, und Freigerichte blieben ſie trotz aller ſpäteren
Entſtellungen und Mißbräuche, nämlich die Gerichte
der urſprünglich freien Markengenoſſen, die ſo
unbeſchränkt auf ihrer Wehr ſaßen, als der König
in ſeiner Pfalz. Das aber werden Sie nicht
wiſſen, daß in mehreren Diſtricten und ſo auch
nahe hiebei manche Höfe, welche das Freiſchöffen-
recht hatten, immer noch die Tradition dieſes
Beſitzes erhalten, und daß dieſelbe vom Vater auf
den Sohn, vom Sohn auf den Enkel fortgepflanzt
wird. Natürlich iſt jetzt die Sache zu einer bloßen
Spielerei herabgeſunken. Aber Wiſſende giebt es
wirklich noch immer, die von Zeit zu Zeit ſich bei
den alten Freiſtühlen verſammeln, und durch Mit-
theilung der geheimen Erkennungszeichen und des
Rituals neue Wiſſende machen. Anfangs nahmen
einige Behörden von dem Hokuspokus Notiz, woll-
ten in die Myſterien eindringen, aber das gelang
ihnen nicht, die Bauern trieben ihr Weſen nur um
ſo vorſichtiger und blieben gegen alle Anmuthungen,
den Sinn der Loſung zu verrathen, ſtandhaft.
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/454>, abgerufen am 23.11.2024.
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