Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

cher Deutsche, welcher eine geraume Zeit lang
selbst nicht gewußt hat, was er eigentlich war,
Franzose oder Deutscher, würde durch sie seinen
Charakter reiner und einfacher erhalten haben. --
Wie das Gemüth ihm unbewußt einen Streich
spielte! Zu dem vaterländischen Zimmer erwählte
er das bestgelegene mit grüner lieblicher Aussicht,
während das Französische unerquicklich an der kah-
len, öden Straße liegt.

In einem Puncte ist der Hauptmann höchst
achtbar, sagte der Diaconus, in dem, daß, wenn
auch seine Fantasie Tage- und Wochenweise an
den fremden Erinnerungen haftet, dennoch nie der
leiseste Wunsch nach der Zeit des allgemeinen Elends
in ihm aufkeimt. Für unsere gelehrte Gesellschaft
ist er vom größten Nutzen, denn er besitzt einen
wahren Schatz an einem Hefte persönlicher Denk-
würdigkeiten eines verstorbenen, ihm innigst ver-
bunden gewesenen Freundes, eines Offiziers.

Man lernt aus denselben das Kleinleben des
Krieges kennen, was die eigentlichen Geschichtsbü-
cher, Schlachtbeschreibungen und militairischen Be-
richte gar nicht enthalten, und weil ein Mensch
von hinreißendem Gefühl und treuer Beobachtungs-

cher Deutſche, welcher eine geraume Zeit lang
ſelbſt nicht gewußt hat, was er eigentlich war,
Franzoſe oder Deutſcher, würde durch ſie ſeinen
Charakter reiner und einfacher erhalten haben. —
Wie das Gemüth ihm unbewußt einen Streich
ſpielte! Zu dem vaterländiſchen Zimmer erwählte
er das beſtgelegene mit grüner lieblicher Ausſicht,
während das Franzöſiſche unerquicklich an der kah-
len, öden Straße liegt.

In einem Puncte iſt der Hauptmann höchſt
achtbar, ſagte der Diaconus, in dem, daß, wenn
auch ſeine Fantaſie Tage- und Wochenweiſe an
den fremden Erinnerungen haftet, dennoch nie der
leiſeſte Wunſch nach der Zeit des allgemeinen Elends
in ihm aufkeimt. Für unſere gelehrte Geſellſchaft
iſt er vom größten Nutzen, denn er beſitzt einen
wahren Schatz an einem Hefte perſönlicher Denk-
würdigkeiten eines verſtorbenen, ihm innigſt ver-
bunden geweſenen Freundes, eines Offiziers.

Man lernt aus denſelben das Kleinleben des
Krieges kennen, was die eigentlichen Geſchichtsbü-
cher, Schlachtbeſchreibungen und militairiſchen Be-
richte gar nicht enthalten, und weil ein Menſch
von hinreißendem Gefühl und treuer Beobachtungs-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0435" n="427"/>
cher Deut&#x017F;che, welcher eine geraume Zeit lang<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t nicht gewußt hat, was er eigentlich war,<lb/>
Franzo&#x017F;e oder Deut&#x017F;cher, würde durch &#x017F;ie &#x017F;einen<lb/>
Charakter reiner und einfacher erhalten haben. &#x2014;<lb/>
Wie das Gemüth ihm unbewußt einen Streich<lb/>
&#x017F;pielte! Zu dem vaterländi&#x017F;chen Zimmer erwählte<lb/>
er das be&#x017F;tgelegene mit grüner lieblicher Aus&#x017F;icht,<lb/>
während das Franzö&#x017F;i&#x017F;che unerquicklich an der kah-<lb/>
len, öden Straße liegt.</p><lb/>
          <p>In einem Puncte i&#x017F;t der Hauptmann höch&#x017F;t<lb/>
achtbar, &#x017F;agte der Diaconus, in dem, daß, wenn<lb/>
auch &#x017F;eine Fanta&#x017F;ie Tage- und Wochenwei&#x017F;e an<lb/>
den fremden Erinnerungen haftet, dennoch nie der<lb/>
lei&#x017F;e&#x017F;te Wun&#x017F;ch nach der Zeit des allgemeinen Elends<lb/>
in ihm aufkeimt. Für un&#x017F;ere gelehrte Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
i&#x017F;t er vom größten Nutzen, denn er be&#x017F;itzt einen<lb/>
wahren Schatz an einem Hefte per&#x017F;önlicher Denk-<lb/>
würdigkeiten eines ver&#x017F;torbenen, ihm innig&#x017F;t ver-<lb/>
bunden gewe&#x017F;enen Freundes, eines Offiziers.</p><lb/>
          <p>Man lernt aus den&#x017F;elben das Kleinleben des<lb/>
Krieges kennen, was die eigentlichen Ge&#x017F;chichtsbü-<lb/>
cher, Schlachtbe&#x017F;chreibungen und militairi&#x017F;chen Be-<lb/>
richte gar nicht enthalten, und weil ein Men&#x017F;ch<lb/>
von hinreißendem Gefühl und treuer Beobachtungs-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[427/0435] cher Deutſche, welcher eine geraume Zeit lang ſelbſt nicht gewußt hat, was er eigentlich war, Franzoſe oder Deutſcher, würde durch ſie ſeinen Charakter reiner und einfacher erhalten haben. — Wie das Gemüth ihm unbewußt einen Streich ſpielte! Zu dem vaterländiſchen Zimmer erwählte er das beſtgelegene mit grüner lieblicher Ausſicht, während das Franzöſiſche unerquicklich an der kah- len, öden Straße liegt. In einem Puncte iſt der Hauptmann höchſt achtbar, ſagte der Diaconus, in dem, daß, wenn auch ſeine Fantaſie Tage- und Wochenweiſe an den fremden Erinnerungen haftet, dennoch nie der leiſeſte Wunſch nach der Zeit des allgemeinen Elends in ihm aufkeimt. Für unſere gelehrte Geſellſchaft iſt er vom größten Nutzen, denn er beſitzt einen wahren Schatz an einem Hefte perſönlicher Denk- würdigkeiten eines verſtorbenen, ihm innigſt ver- bunden geweſenen Freundes, eines Offiziers. Man lernt aus denſelben das Kleinleben des Krieges kennen, was die eigentlichen Geſchichtsbü- cher, Schlachtbeſchreibungen und militairiſchen Be- richte gar nicht enthalten, und weil ein Menſch von hinreißendem Gefühl und treuer Beobachtungs-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/435
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/435>, abgerufen am 16.08.2024.