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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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das Offene; da wurden seine Augen von einer
prachtvollen Erscheinung gefangen genommen. Zwi-
schen den Gräsern waren alte Baumtrümme ver-
weset und starrten schwarz aus dem umgebenden
lustigen Grün. Einer derselben war ganz ausge-
höhlt, in seinem Inneren hatte sich der Moder zu
brauner Erde niedergeschlagen, und aus dieser und
aus dem Trumm, wie aus einem Crater, blühte
die herrlichste Blume empor. Ueber dem Kranze
sanfter runder Blätter erwuchs ein schlanker Sten-
gel, der große Kelche von unnennbar schöner Röthe
trug. Tief in den Kelchen stand ein geflammtes
zartes Weiß, welches in leichten grünen Aederchen
nach dem Rande zu auslief. Es war offenbar
keine hiesige, es war eine fremde Blume, deren
Samenkorn, wer weiß, welcher? Zufall in den
durch die Verwesungskräfte der Natur bereiteten
Gartenboden getragen, und eine günstige Sommer-
sonne auch hier zum Wachsen und Blühen gebracht
hatte.

Der Jäger erquickte sein Auge an diesem rei-
zenden Anblicke, der ihn belohnte, als er das Ge-
lübde gethan hatte, mit Leib und Seele dem Vater-
lande angehören und Zeitlebens keine Götter

das Offene; da wurden ſeine Augen von einer
prachtvollen Erſcheinung gefangen genommen. Zwi-
ſchen den Gräſern waren alte Baumtrümme ver-
weſet und ſtarrten ſchwarz aus dem umgebenden
luſtigen Grün. Einer derſelben war ganz ausge-
höhlt, in ſeinem Inneren hatte ſich der Moder zu
brauner Erde niedergeſchlagen, und aus dieſer und
aus dem Trumm, wie aus einem Crater, blühte
die herrlichſte Blume empor. Ueber dem Kranze
ſanfter runder Blätter erwuchs ein ſchlanker Sten-
gel, der große Kelche von unnennbar ſchöner Röthe
trug. Tief in den Kelchen ſtand ein geflammtes
zartes Weiß, welches in leichten grünen Aederchen
nach dem Rande zu auslief. Es war offenbar
keine hieſige, es war eine fremde Blume, deren
Samenkorn, wer weiß, welcher? Zufall in den
durch die Verweſungskräfte der Natur bereiteten
Gartenboden getragen, und eine günſtige Sommer-
ſonne auch hier zum Wachſen und Blühen gebracht
hatte.

Der Jäger erquickte ſein Auge an dieſem rei-
zenden Anblicke, der ihn belohnte, als er das Ge-
lübde gethan hatte, mit Leib und Seele dem Vater-
lande angehören und Zeitlebens keine Götter

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[412/0420] das Offene; da wurden ſeine Augen von einer prachtvollen Erſcheinung gefangen genommen. Zwi- ſchen den Gräſern waren alte Baumtrümme ver- weſet und ſtarrten ſchwarz aus dem umgebenden luſtigen Grün. Einer derſelben war ganz ausge- höhlt, in ſeinem Inneren hatte ſich der Moder zu brauner Erde niedergeſchlagen, und aus dieſer und aus dem Trumm, wie aus einem Crater, blühte die herrlichſte Blume empor. Ueber dem Kranze ſanfter runder Blätter erwuchs ein ſchlanker Sten- gel, der große Kelche von unnennbar ſchöner Röthe trug. Tief in den Kelchen ſtand ein geflammtes zartes Weiß, welches in leichten grünen Aederchen nach dem Rande zu auslief. Es war offenbar keine hieſige, es war eine fremde Blume, deren Samenkorn, wer weiß, welcher? Zufall in den durch die Verweſungskräfte der Natur bereiteten Gartenboden getragen, und eine günſtige Sommer- ſonne auch hier zum Wachſen und Blühen gebracht hatte. Der Jäger erquickte ſein Auge an dieſem rei- zenden Anblicke, der ihn belohnte, als er das Ge- lübde gethan hatte, mit Leib und Seele dem Vater- lande angehören und Zeitlebens keine Götter

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/420>, abgerufen am 22.11.2024.