hat ein Stand anders als durch Ideen existirt. Auch den ersten haben Ideen geschaffen und erhal- ten, anfänglich die der Kampfestapferkeit und Lehns- treue, demnächst die der besondern Ehre. Gegen- wärtig ist durch die Errettung des Vaterlandes, welche von allen Ständen ausging, die höchste Ehre ein Gemeingut geworden; weßhalb denn die oberen Stände das Protectorat des Geistes hätten übernehmen müssen, wenn sie wieder etwas Beson- deres seyn und vorstellen wollten.
Ich habe, sagte der Jäger kleinlaut, in einer hohen und vornehmen Familie, die ich vor Kurzem auf meinen Streifereien kennen lernte, die zwan- zigjährigen Töchter auf gut Schwäbisch mit der Iphigenie bekannt machen müssen, welche sie noch nie gelesen hatten, weil die Eltern Goethe für einen jugendverführerischen Schriftsteller hielten.
Und wer weiß, ob das Haupt dieser Familie, welche ich übrigens nicht kenne, nicht einer von den Figuren ist oder seyn wird, welcher man Bahnen der Cultur anvertraut? sagte der Diaconus. Der unbefangene Beobachter hat in dieser Hinsicht zu- weilen die erschreckendsten Contraste anzuschauen. Nun müssen Sie einräumen, daß ein französischer
hat ein Stand anders als durch Ideen exiſtirt. Auch den erſten haben Ideen geſchaffen und erhal- ten, anfänglich die der Kampfestapferkeit und Lehns- treue, demnächſt die der beſondern Ehre. Gegen- wärtig iſt durch die Errettung des Vaterlandes, welche von allen Ständen ausging, die höchſte Ehre ein Gemeingut geworden; weßhalb denn die oberen Stände das Protectorat des Geiſtes hätten übernehmen müſſen, wenn ſie wieder etwas Beſon- deres ſeyn und vorſtellen wollten.
Ich habe, ſagte der Jäger kleinlaut, in einer hohen und vornehmen Familie, die ich vor Kurzem auf meinen Streifereien kennen lernte, die zwan- zigjährigen Töchter auf gut Schwäbiſch mit der Iphigenie bekannt machen müſſen, welche ſie noch nie geleſen hatten, weil die Eltern Goethe für einen jugendverführeriſchen Schriftſteller hielten.
Und wer weiß, ob das Haupt dieſer Familie, welche ich übrigens nicht kenne, nicht einer von den Figuren iſt oder ſeyn wird, welcher man Bahnen der Cultur anvertraut? ſagte der Diaconus. Der unbefangene Beobachter hat in dieſer Hinſicht zu- weilen die erſchreckendſten Contraſte anzuſchauen. Nun müſſen Sie einräumen, daß ein franzöſiſcher
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0410"n="402"/>
hat ein Stand anders als durch Ideen exiſtirt.<lb/>
Auch den erſten haben Ideen geſchaffen und erhal-<lb/>
ten, anfänglich die der Kampfestapferkeit und Lehns-<lb/>
treue, demnächſt die der beſondern Ehre. Gegen-<lb/>
wärtig iſt durch die Errettung des Vaterlandes,<lb/>
welche von allen Ständen ausging, die höchſte<lb/>
Ehre ein Gemeingut geworden; weßhalb denn die<lb/>
oberen Stände das Protectorat des Geiſtes hätten<lb/>
übernehmen müſſen, wenn ſie wieder etwas Beſon-<lb/>
deres ſeyn und vorſtellen wollten.</p><lb/><p>Ich habe, ſagte der Jäger kleinlaut, in einer<lb/>
hohen und vornehmen Familie, die ich vor Kurzem<lb/>
auf meinen Streifereien kennen lernte, die zwan-<lb/>
zigjährigen Töchter auf gut Schwäbiſch mit der<lb/>
Iphigenie bekannt machen müſſen, welche ſie noch<lb/>
nie geleſen hatten, weil die Eltern Goethe für einen<lb/>
jugendverführeriſchen Schriftſteller hielten.</p><lb/><p>Und wer weiß, ob das Haupt dieſer Familie,<lb/>
welche ich übrigens nicht kenne, nicht einer von<lb/>
den Figuren iſt oder ſeyn wird, welcher man Bahnen<lb/>
der Cultur anvertraut? ſagte der Diaconus. Der<lb/>
unbefangene Beobachter hat in dieſer Hinſicht zu-<lb/>
weilen die erſchreckendſten Contraſte anzuſchauen.<lb/>
Nun müſſen Sie einräumen, daß ein franzöſiſcher<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[402/0410]
hat ein Stand anders als durch Ideen exiſtirt.
Auch den erſten haben Ideen geſchaffen und erhal-
ten, anfänglich die der Kampfestapferkeit und Lehns-
treue, demnächſt die der beſondern Ehre. Gegen-
wärtig iſt durch die Errettung des Vaterlandes,
welche von allen Ständen ausging, die höchſte
Ehre ein Gemeingut geworden; weßhalb denn die
oberen Stände das Protectorat des Geiſtes hätten
übernehmen müſſen, wenn ſie wieder etwas Beſon-
deres ſeyn und vorſtellen wollten.
Ich habe, ſagte der Jäger kleinlaut, in einer
hohen und vornehmen Familie, die ich vor Kurzem
auf meinen Streifereien kennen lernte, die zwan-
zigjährigen Töchter auf gut Schwäbiſch mit der
Iphigenie bekannt machen müſſen, welche ſie noch
nie geleſen hatten, weil die Eltern Goethe für einen
jugendverführeriſchen Schriftſteller hielten.
Und wer weiß, ob das Haupt dieſer Familie,
welche ich übrigens nicht kenne, nicht einer von
den Figuren iſt oder ſeyn wird, welcher man Bahnen
der Cultur anvertraut? ſagte der Diaconus. Der
unbefangene Beobachter hat in dieſer Hinſicht zu-
weilen die erſchreckendſten Contraſte anzuſchauen.
Nun müſſen Sie einräumen, daß ein franzöſiſcher
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/410>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.